Verkehrte Welt in Sevilla

von Redaktion

Betis im Conference-Finale gegen Chelsea, der ruhmreiche Stadtrivale FC versinkt im Chaos

Sevilla FC ist nur knapp dem Abstieg entgangen. © IMAGO/Corchero

Eine Stadt, zwei Stimmungslagen: Isco (Mi.), Antony (re.) & Co. feiern. © IMAGO/Maffia

Sevilla – Uli Hoeneß dürfte sich noch recht gut an Sevilla erinnern. Und an Juan Bernat. „Einen Scheißdreck“ habe jener Bernat da zusammengespielt, ätzte der Bayern-Patron 2018 gegen den ehemaligen Linksverteidiger des FCB. „Als wir in Sevilla gespielt haben, war er alleine dafür verantwortlich, dass wir fast ausgeschieden wären.“ Der Ehrenpräsident der Münchner bezog sich dabei auf den damals nur Monate zurückliegenden 2:1-Sieg im Viertelfinale der Champions League im Estadio Ramón Sánchez-Pizjuán, das dem Rekordmeister in Kombination mit dem 0:0 im Rückspiel letztlich doch zum Weiterkommen reichte. Seitdem ist aber viel Wasser die Isar – beziehungsweise den Guadalquivir in der andalusischen Hauptstadt – hinuntergeflossen. Besagter Bernat kickt mittlerweile für den FC Getafe – und der Sevilla FC, seines Zeichens siebenfacher Europa-League-Sieger und einst Königsklassen-Dauergast, ist vor wenigen Tagen nur um einen Punkt dem Abstieg entgangen.

Die Einwohner der Sonnenmetropole Sevilla machen beileibe keine einfache Zeit durch – zumindest die rot-weiße Hälfte. Die andere, die grün-weiße, nimmt das Ganze mit einem süffisanten Lächeln zur Kenntnis. Die Rede ist von den Anhängern von Real Betis, dem jahrelang vom Selbstkult lebenden, weil erfolglosen Erzrivalen der Sevillistas, der im Gegensatz zum verhassten Nachbarn aktuell eine Art Katharsis durchmacht. Vor gut drei Jahren gewannen die Verdiblancos nach 17 titellosen Jahren (inklusive zweier Abstiege) den spanischen Pokal, aktuell hat sich die Mannschaft von Cheftrainer Manuel Pellegrini zum fünften Mal in Folge für das internationale Geschäft qualifiziert und bestreitet morgen in der Conference League gegen Chelsea zudem das erste Europacup-Endspiel seiner 117-jährigen Geschichte. Der fatalistische Clubslogan „Viva el Betis manquepierda“, was zu Deutsch so viel wie „Hoch lebe Betis, auch wenn er verliert“ heißt, wurde in der andalusischen Landeshauptstadt schon zu „manquegane“ („auch wenn er gewinnt“) umgetauft.

Die Gründe für des einen Wohl und des anderen Leid liegen – wie so oft – in der Chefetage. Bei Betis hat sich seit der Insolvenz 2011 einiges getan: Die nach wie vor bestehenden, aber zum Teil langfristig umstrukturierten Schulden haben den Club zum sportlichen Drahtseilakt gezwungen. Das Ziel: mit geringem Aufwand den größtmöglichen Ertrag erzielen. Und so ist das Estadio Benito Villamarín zu einer Art Wiedergeburtsstätte für gescheiterte Kicker geworden. Abgestürzte Stars wie Isco, der seinen Vertrag beim Erzrivalen Sevilla 2023 im Streit auflöste, oder Leihspieler Antony, Man Uniteds 100-Millionen-Euro-Flop, haben dank Pellegrinis Händchen wieder zur Bestform gefunden. 21 Treffer und 15 Assists zusammen sprechen Bände. Hinzu kommt eine ausgezeichnete Jugendarbeit, die Stars wie Fabián (PSG) oder Dani Ceballos (Real Madrid) hervorgebracht hat, sowie eine Fanbase, die in Spanien ihresgleichen sucht. Ein Zuschauerschnitt von 51 500 pro Heimspiel spricht für sich.

Exakt 3,2 Kilometer entfernt, im Stadtviertel Nervión, kennt man die Gründe für die Talfahrt des Sevilla FC auch nur zu gut. Ein nun schon Jahre andauernder und von mehreren Parteien geführter Streit voller Intrigen um die Macht im Club hat dazu geführt, dass der einst glorreiche Verein nicht nur sportlich vor die Hunde geht, sondern auch vor einem Schuldenberg von über 300 Millionen Euro steht. In der Folge sind Vereinslegenden wie Sportdirektor-Ikone Monchi (aktuell bei Aston Villa tätig) verscheucht, Spielerlegenden wie Weltmeister Jesús Navas über die Hintertür verabschiedet und sieben Trainer innerhalb von drei Saisons verschlissen worden. Das Klima ist so toxisch, dass die Fans nach einer der jüngsten Niederlagen sogar das Trainingszentrum stürmten und nur von den Gummigeschossen der Polizei aufgehalten werden konnten.
JOSÉ CARLOS MENZEL LÓPEZ

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