MVP des Turniers und doch maßlos enttäuscht: Leonardo Genoni, Schweizer Torwart. © AFP
Weltmeister USA und ein Moment des Gedenkens: Johnny Gaudreau gehörte 2024 zum WM-Team und wurde im Sommer bei einem Fahrradunfall getötet. © dpa
Stockholm/München – Um das Beispiel zu finden, dass es das alles so ähnlich schon mal gegeben hat, muss man ins Jahr 1994 und nach Mailand reisen. Damals hatte Finnland die Eishockey-Weltmeisterschaft dominiert, Viertel- und Halbfinale ohne Gegentor bestritten. Das Endspiel gegen Kanada dann: Superspannend, 1:1 nach 60 Minuten und Verlängerung, die Niederlage erfolgte erst im Penaltyschießen. Als Kommentar deutete der Trainer der Finnen, Curt Lindström, mit Daumen und Zeigefinger eine klitzekleine Lücke an: So wenig hat gefehlt.
Im Jahr 2025 fand sich der Schweizer Cheftrainer Patrick Fischer in einer ähnlichen Situation wieder. Seine Mannschaft hatte eine beeindruckende Vorrunde gespielt, in den K.o.-Partien Statements gesetzt gegen Österreich (6:0) und Dänemark (7:0), im Finale gegen die USA stand es nach regulärer Spielzeit 0:0. Dann ging es in die Overtime, die bei der WM – anders als in den Playoffs der nationalen Ligen – im Zirkusformat mit drei gegen drei Mann gespielt wird. Es eröffnen sich Räume, die zuvor verstellt waren, es passiert was: In der dritten Minute der Zusatzschicht schoss Tage Thompson aus Buffalo die USA zum Weltmeister-Titel.
„Wir haben das ganze Turnier unglaublich gespielt, wir haben kein Spiel nach 60 Minuten verloren“, sagte Fischer. Es war die Geste Daumen – Zeigefinger in Worte übersetzt. Torhüter Leonardo Genoni meinte: «Es ist hart, es tut wirklich weh. Wir waren so gut dabei, so nahe dran.“ Zum vierten Mal stand die Schweiz in einem WM-Finale, zum vierten Mal verlor sie es. Wie 2013, 18 und 24 scheint es, als lasse das Eishockey einfach nicht zu, dass ein Land, das nicht zu den traditionellen großen Nationen zählt, sich einmal an die Spitze setzt. Genoni empfand bittersüßen Geschmack, dass er zum MVP des Turniers, zum besten Spieler, gewählt wurde. „Ich würde die Auszeichnung gegen den Titel tauschen“, versicherte der 37-Jährige vom EV Zug.
Der unglückliche kleine Verlierer von 2025 ist nur eine Parallele zur Geschichte von 1994. Weltmeister damals wurde Kanada – nach einer Durststrecke von 33 Jahren. Für einige Zeit hatten sich die Kanadier von Weltmeisterschaften zurückgezogen, weil Profis nicht mitwirken durften, 1977 kehrten sie zurück, mit Stars aus der NHL, doch erlebten eine Blamage nach der anderen. Bis sie sich 1994 erlösten. Die Geschichte der US-Amerikaner ist eine ähnliche. Sie zählen immer zu den Favoriten, tatsächlich waren sie aber nur einmal richtig Weltmeister – 1933. In den Annalen werden sie zwar auch 1960 gelistet, doch damals galten die Olympischen Spiele, die die US-Boys gewannen, zugleich als Weltmeisterschaft.
Der WM-Titel war überfällig. Kein Verband arbeitet so strukturiert wie US Hockey, seine Junioren- und Frauenprogramme sind die besten, die Expansion der NHL nach Kalifornien, Florida, Texas, Nevada treibt die Entwicklung voran. Die stets kurz zu den WM-Turnieren spontan zusammengestellte Nationalmannschaft scheiterte oft an sich selbst – und das hätte im kleinen dänischen Vorrundenort Herning wieder geschehen können. Das Team wollte unbedingt zur K.o.-Runde nach Stockholm – und blühte auf. „Was für eine Gruppe, was für tolle Tage“, sagte Stürmer Conor Garland.
Die Schweizer glauben, „dass in einigen Tagen der Stolz überwiegen wird“ (Torjäger Sven Andrighetto). 2026 wollen sie einen neuen Anlauf nehmen, die WM findet in der Schweiz statt. Was Mut macht: Das 1994 hauchdünn gescheiterte Finnland wurde 1995 erstmals Weltmeister.
GÜNTER KLEIN