Medaille mit Beigeschmack

von Redaktion

Turnerinnen holen historisches EM-Silber – im Verband rumort es weiter

Extraklasse: Helen Kevric am Stufenbarren. © Murat/dpa

Historischer Silber-Jubel: Helen Kevric, Silja Stöhr, Lea Marie Quaas, Janoah Müller und Karina Schönmaier (v.li.) feiern ihren Coup mit Bundestrainer Gerben Wiersma. © Murat/dpa

Leipzig – Der deftige Lohn für ihre Silber-Sensation erwartete Helen Kevric und die deutschen Kunstturnerinnen im Teamhotel. Zu später Stunde gönnten sich die frisch gekürten Vize-Europameisterinnen ihr verdientes Wunschmenü und ließen den Abend bei einer kräftigen Portion Spaghetti Carbonara genüsslich ausklingen. „Der Zusammenhalt des Teams war unsere große Stärke“, sagte ein sichtlich zufriedener Bundestrainer Gerben Wiersma.

Die ersatzgeschwächte Auswahl des Deutschen Turnerbundes (DTB) hatte am Montag bei der Heim-EM in Leipzig überraschend Platz zwei im Team-Wettbewerb belegt. Die 17-jährige Kevric, Lea Quaas (19), Janoah Müller (17), Karina Schönmaier (19) und Silja Stöhr (17) gewannen mit einer Gesamtpunktzahl von 158,396 die zweite EM-Team-Medaille in der Geschichte der Bundesrepublik. 3,534 Punkte betrug der Rückstand der deutschen Riege auf Italien. Im Vorfeld hatte man eine Top-Fünf-Platzierung als Ziel ausgegeben.

Die Stimmung war bemerkenswert ausgelassen – und doch nicht gänzlich ungetrübt. Die Titelkämpfe in Leipzig sind schließlich überaus komplizierte für den DTB und seine Athletinnen – und das nicht bloß, weil die deutsche Rekordmeisterin Elisabeth Seitz (Schulterverletzung), Ex-Weltmeisterin Pauline Schäfer-Betz (nach Hüft-OP) und die frühere Europameisterin Emma Malewski (nach längerer Verletzungspause) ihre Teilnahme geschlossen abgesagt hatten.

Seit dem Jahreswechsel setzt sich der Verband mit Vorwürfen ehemaliger wie aktiver Turnerinnen auseinander, die unter anderem körperlichen und mentalen Missbrauch an den Bundesstützpunkten in Stuttgart und Mannheim angeprangert hatten. „So schön dieser Erfolg für die Turnerinnen auch ist, die Probleme der vergangenen Monate sind damit nicht weggewischt und vergessen“, sagte Wiersma.

Vergessen hat auch Kevric nicht. Für die deutsche Hoffnungsträgerin war nach Freistellungen von Übungsleitern am Stützpunkt in Stuttgart lange gar nicht klar gewesen, ob sie es wegen ihres Trainingsrückstandes überhaupt zur EM schafft. Eine komplizierte Situation für die Schülerin.

Doch Kevric, die schon bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris geglänzt hatte, zeigte einen nervenstarken Wettkampf und qualifizierte sich mit der besten Leistung aller Turnerinnen am Stufenbarren für das Gerätefinale Ende der Woche und darf sogar auf Gold hoffen. Wie auch Schönmaier – ihrerseits Beste am Sprung – wird Kevric außerdem im Mehrkampf an den Start gehen.

Ein Erfolg, den Kevric in aller Deutlichkeit auch den entlassenen Trainern widmete. Nein, sagte sie, „ich habe mich nie als Missbrauchsopfer gefühlt. Deswegen habe ich ein Stück weit diese Medaille auch für meine früheren Trainer gewonnen. Und ich bleibe auch dabei, dass es nicht schön war, wie es geendet ist“, sagte Kevric. Die Frage, ob es denn noch Kontakt zu ihren einstigen Betreuern gibt, wollte sie indes nicht beantworten.

Es rumort weiter im deutschen Turnen, die Krise ist längst noch nicht ausgestanden. Die Silber-Sensation kann darüber nicht hinwegtäuschen.
SID

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