Familie: Enrique mit Ehefrau Elena und den Kindern Pacho und Cira. © IMAGO
Erinnerungen an 2015: Enrique und Xana in Berlin. © imago
Szene des Abends: Die PSG-Fans erinnerten in der Kurve an die kleine Xana. © IMAGO
München – Im großen Wimmelbild, das sich am späten Samstagabend in der lauen Sommernacht von Fröttmaning bot, gab es viel zu entdecken. In der Südkurve der Alllianz Arena: gähnende Leere, vereinzelt weinende Italiener. In der Nordkurve: von Pyrotechnik bis Platzsturm alles dabei. Die Party, die der würdige Champions-League-Gewinner PSG nach dem 5:0 (2:0) im Endspiel in der Münchner Arena veranstaltet, war wunderbar wuselig, ein Verein erlebte diese Minuten in Ekstase. Und trotzdem blitzten zwei Protagonisten aus dem Chaos immer wieder heraus: der polierte Henkelpott, gerade zum ersten Mal in der Geschichte mit dem Namen Paris Saint-Germain graviert – und Luis Enrique, in jeglicher Hinsicht der Held dieses Abends.
Der 55-Jährige war überall zu sehen. Mit Schlusspfiff dieser sportlichen Machtdemonstration auf dem Rasen, als Erster auf dem Sieger-Podest, tanzend unter seinen Spielern, in Umarmung mit jedem einzelnen Staff-Mitglied, auf den Händen der Profis, fliegend in der Luft. Und trotzdem überstrahlte eine Szene aus diesem fünften Champions-League-Finale in der bayerischen Landeshauptstadt alle anderen schönen Trainer-Momente. Ergriffen, für einen kurzen Moment mit den Emotionen kämpfend, aber trotzdem einfach nur stolz stand der PSG-Coach vor dem riesigen Banner, das die Fans weit nach Schlusspfiff über ihren Köpfen ausgebreitet hatten. Zu sehen: eine Zeichnung von Enrique und seiner im Jahr 2019 an Knochenkrebs verstorbenen Tochter Xana, die dabei zusieht, wie ihr Papa mit PSG Fußball-Geschichte schreibt.
2015, bei Enriques erstem Königsklassen-Triumph mit dem FC Barcelona, war die damals Fünfjährige in Berlin auf dem Rasen gesprungen. Diesmal, da war sich Enrique sicher, schaute sie aus dem Himmel zu. „Xana ist immer bei uns, wir denken immer an sie. Ich denke, dass sie hier unter uns rennen würde“, sagte er und blickte auf das schwarze T-Shirt, das er sich nach dem Triumph übergestreift hatte. Auch dort war eine Zeichnung gedruckt, die ihn mit seiner Tochter stilisierte, dazu die PSG-Fahne. Der Dank ging in die Kurve: „Das war ein emotionaler Augenblick. Die Fans haben mir und meiner Familie eine große Freude bereitet.“
Es war und ist schon beeindruckend, wie Enrique mit dem schlimmsten Schicksalsschlag, der Eltern widerfahren kann, umgeht. Auch das Leben nach Xana ist ein Leben mit Xana – es geht weiter, nur anders. Und in gewisser Weise passt diese Denke auch zum Wirken des Spaniers beim französischen Triple-Sieger. „Er hat alles verändert. Er hat eine andere Art, Fußball zu sehen“, sagte Achraf Hakimi, der mit seinem Treffer zum 1:0 (12.) das historische Schützenfest – noch nie gab es einen höheren Sieg in einem Königsklassen-Endspiel – eingeleitet hatte. Nach weiteren Treffern durch Désiré Doué (20./63.), Chwitscha Kwarazchelia (73.) und Senny Mayulu (87.) war das Inter-Debakel perfekt. Weil der Viertelfinal-Bezwinger des FC Bayern nichts entgegenzusetzen hatte. Aber vor allem, „weil wir einen Trainer haben, der alles verändert hat“ (Hakimi).
14 Jahre und mehr als zwei Milliarden Euro hat es nach dem Einstieg der katarischen Investmentgesellschaft QSI und Nasser Al-Khelaifi bis zur Krönung gebraucht. Das neue PSG benötigt keinen Lionel Messi, keinen Kylian Mbappé oder Neymar, weil es ein funktionierendes Team hat. Dass der Club-Eigentümer den Henkelpott als einer der ersten Protagonisten in den Münchner Himmel stemmte, ging im großen Wimmelbild übrigens fast unter. Alle Augen waren bei Enrique – und alle Gedanken bei Xana.
H. RAIF, V. TSCHIRPKE