„Billige Versuchskaninchen“

von Redaktion

Doping erlaubt: Pharmakologe Sörgel über die Enhanced Games

Doping-Weltrekordler: Kristian Gkolomeev. © Instagram

Ordentlich aufgepumpt: James Magnussen © Instagram

Fritz Sörgel: Doping-Experte. © Karmann/dpa

Ein optimierter Super-Sportler – so stellt sich die KI das Ergebnis vor. © jh

Die Macher der Enhanced Games haben ihren ersten Weltrekord. Der viermalige Olympiateilnehmer Kristian Gkolomeev knackte – unterstützt mit unerlaubten Mitteln und einem mittlerweile verbotenen, langen Hightechanzug – die 50-Meter-Freistil-Bestmarke von Cesar Cielo (20,91 Sekunden) aus dem Jahr 2009 um zwei Hundertstel. Und genau darum geht es bei den Dopingspielen, die 2026 erstmals in Las Vegas ausgetragen werden. Die (sportlichen) Grenzen sollen ausgelotet werden. Oder wie es Chef Aron D’Souza ausdrückt: Man wolle eine „neue menschliche Exzellenz“ erschaffen. Unsere Zeitung hat mit dem Nürnberger Pharmakologen Prof. Dr. Fritz Sörgel (74) über das umstrittene Projekt, das unter anderem von Donald Trumps Sohn und den beiden deutschen Milliardären Peter Thiel (Paypal-Mitgründer) und Christian Angermayer (Investor im Bereich der Biowissenschaften) unterstützt wird, gesprochen.

Herr Sörgel, warum kann man diese Idee nicht einfach als Spinnerei abtun?

Wenn das irgendwelche Leute wären, die mal einen Versuchsballon starten wollten, könnte man das so sagen. Das ist in diesem Fall aber anders. Hinter dem Projekt stehen finanzstarke Investoren, allen voran der in Deutschland geborene Peter Thiel. Er operiert zwar aus dem Hintergrund, ist aber einer der mächtigsten Männer der USA, er hat beispielsweise seinen früheren Mitarbeiter JD Vance auf den Vizepräsidentenposten gehievt.

Welche Ziele haben diese Investoren?

Sie wollen im Sinne des Transhumanismus eine Art „Supermenschen“ schaffen, der glücklicher ist und der vor allem älter wird, sogar Unsterblichkeit steht auf dem Programm. Enhanced-Games-Präsident Aaron D’Souza sieht die Spiele als Katalysator für eine Zukunft, in der Alterung optional wird und Menschen durch gezielte Verbesserungen – etwa durch Medikamente, Genetik oder Technologie – zu „Supermenschen“ werden können.

Was hat das mit Sport zu tun?

Sehr viel. Er schafft mediale Aufmerksamkeit und er liefert vergleichsweise billige Versuchskaninchen.

Die Folge sind die Enhanced Games.

Richtig. D’Souza hatte vor etwa drei Jahren die Idee und fand mit Thiel einen potenten Unterstützer. D’Souza ist besessen von der Idee, eine Art gerechtere Olympische Spiele zu schaffen, bei der die Sportler Geld für ihre Teilnahme bekommen. Das reicht aber nicht, um Olympia im Kampf um Aufmerksamkeit echt Konkurrenz machen zu können. Deswegen hat er die Sportveranstaltung erdacht, bei der Doping unter strenger Aufsicht von Ärzten eingenommen werden darf. Eine Provokation des sauberen Sportes, von dem beim IOC gerne gesprochen wird.

Wer einen Weltrekord aufstellt, wird mit einer Million Dollar (880 000 Euro) belohnt. Kann man mit Geld alles vermarkten?

Ja, man muss es nur richtig anpacken. Über Summen für Fußballer unterhält man sich gerne an den Stammtischen, demnächst sicher auch über die Einmalzahlungen von einer Million Dollar für in Las Vegas erfolgreiche Leichtathleten, Schwimmer und Kraftsportler.

Zum Rekord: Der 31-jährige Grieche Kristian Gkolomeev (Olympia-Vierter) hat es geschafft. Ex-Weltmeister und Vize-Olympiasieger James Magnussen (34) hingegen nicht.

Dabei hat sich Magnussen ordentlich mit Testosteron durchtränkt und außerdem mehrere, am Menschen nicht geprüfte, geschweige denn zugelassene Substanzen zugeführt. Er hat innerhalb von zehn Tagen fünf Kilo zugenommen und am Ende ein Körpergewicht von 115 kg erreicht – etwa 20 kg mehr als zu seiner aktiven Zeit. Nur: Die Schwimmleistung nahm nicht wie erwartet zu. So gut können die beratenden Ärzte also nicht sein, Magnussen war ja als potenzieller Millionär ausgesucht worden. Er wird sich fragen müssen, ob er weiter seine Gesundheit riskiert. Doping ist gefährlich, die Radrennfahrer Jensen, Simpson und Pantani zahlten mit ihrem Leben. Ich vermute, dass bei den Enhanced Games das Gleiche passieren wird wie im „sauberen“ Sport: Athleten werden die Dosis ohne Absprache erhöhen, wenn es nicht gleich klappt mit der Million.

Betrug bei den Betrüger-Spielen. Herrlich ironisch.

Zur Erinnerung und als Beweis für mögliche Folgen von völlig unkontrolliertem Konsum: die deutsche Siebenkämpferin Birgit Dressel verstarb 1987 im Alter von 26 Jahren an einem toxisch-allergischen Schock, der zu einem Multiorganversagen führte. Eine Obduktion ergab, dass sich in ihrem Körper Spuren von 101 verschiedenen Medikamenten befanden, darunter Anabolika und andere leistungssteigernde Substanzen.

Jan Pommer, der Vorstandsvorsitzende im Deutschen Schwimmverband, nennt das Projekt einen „perversen Menschenversuch“. Stimmen Sie zu?

(überlegt) Der Sportler als Labormaus, darauf läuft es hinaus. Bei der Balco-Affäre von 2003 hatte ich das erste Mal den Begriff „Menschenversuch“ in die Diskussion eingebracht, als ein Chemiker im Laborkolben eine neue, vorher nicht bekannte und geprüfte Substanz an Balco-Chef Victor Conte weitergab, der es sofort bei seinen Sportlern wie Marion Jones einsetzte. Die Enhanced-Entwickler wollen sicher niemanden bewusst schädigen, aber wer Gefahren ignoriert und keine kompetente Hilfe anbieten kann, bringt Sportler in Gefahr. Vergessen wir nicht, zwei oder drei Enhanced Games ohne Weltrekord kann man sich nicht leisten.

Theoretisch: Wenn einer von Deutschlands aktuellen Topsprintern sich der Sache anschließen würde, um den 100-Meter-Rekord von Usain Bolt zu überbieten, wäre das drin?

Keine Chance. Er würde die Zeit nicht schaffen. Auch das wird sicher eine Erkenntnis sein. Man braucht Athleten, die sich ohnehin auf höchstem Niveau bewegen, so wie Gkolomeev. Sportler aus dem B-Kader werden nicht plötzlich neue Weltrekorde aufstellen, ganz gleich wie viel und was sie einwerfen.

Dass im deutschen Sport jetzt schon mehr betrogen wird, als die Öffentlichkeit weiß, hat eine Recherche der ARD-Dopingredaktion offengelegt. Die Nationale Antidopingagentur hat in den vergangenen fünf Jahren wegen einer ungeklärten Datenschutzlage 130 überführte Dopingbetrüger nicht öffentlich gemacht.

Fand ich auch interessant. Vielleicht sind wir im Vergleich zu anderen Ländern nicht so sauber, wie wir es gerne denken. Ich möchte dazu mehr Details. Welche Substanzen wurden genommen und welchen (Kader-)Status hatten die Athleten? Das sind Daten, die man auch anonymisiert veröffentlichen kann. Der Datenschutz ist da kein Argument gegen eine Veröffentlichung.

Können Sie uns noch Ihre Einschätzung geben, wie lange das Doping-Verbot bei Olympischen Spielen und damit bei allen Wettbewerben noch Bestand haben wird?

Ich denke, wenn die Vermarktung der Spiele in Las Vegas erfolgreich ist, dann werden wir spätestens in zehn Jahren einige Sportarten erleben, in denen Doping erlaubt sein wird. Sportarten zum Beispiel, die gegen die etablierten Sportarten keine Chance haben, keine Sponsoren finden und für ihr Überleben zu solchen Schritten greifen müssen. Dem Verbot des Dopings wird es genauso gehen wie der Abschaffung des Amateurbegriffs 1981 unter IOC Präsident Juan Antonio Samaranch.


INTERVIEW: MATHIAS MÜLLER

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