Weiter, immer weiter

von Redaktion

Es ist nicht nur die Titelsehnsucht, die Jubilar Joshua Kimmich antreibt

Heiß diskutiert: Ist Kimmich gut genug bei Standardsituationen? Er übernimmt sie aber gerne. © IMAGO

Erstes Länderspiel: Kurz vor der EM 2016 gegen die Slowakei, Regenschlacht in Augsburg. © imago

Im Zeichen des Adlers: Für sein 100. Länderspiel will Joshua Kimmich keine Extra-Prämie. © IMAGO/Wunderl

Herzogenaurach – Schon typisch irgendwie: Da steht Joshua Kimmich vor seinem 100. Länderspiel und wird gefragt, welche der bisher absolvierten 99 er spontan als besondere Erlebnisse benennen könnte – und er wählt zwei Niederlagen.

Nummer eins: „Das Spanien-Spiel ist mir noch sehr präsent. Da hatten wir das Gefühl, dass wir was reißen können.“ Vergangenen Sommer, EM-Viertelfinale in Stuttgart, das ungeahndete Handspiel des Spaniers Mark Cuccurella stand einem deutschen Vorankommen im Weg.

Dann: „2016 gegen Frankreich.“ Joshua Kimmichs erstes Turnier. Zum Ende seiner ersten Bundesliga-Saison debütierte er kurz vor der EM, rutschte in den Kader, gab den rechten Verteidiger, wurde sogar ins All-Star-Team der UEFA berufen. Doch das Halbfinale in Marseille brachte eine Ansammlung von Unglückseligkeiten. Deutschland schied aus. „Spielerisch waren wir die beste Mannschaft“, sagt Kimmich, „es war eine verpasste Chance.“ Eine realisierte Chance gab es nur einmal in seiner Nationalmannschafts-Laufbahn: „Den Sieg im Finale des Confed Cups gegen Chile.“ Das war 2017, lange her. Was er danach an Turnieren spielte, „da hatte man nicht das Gefühl, wir stehen vor einem Titel“.

Als 14. Nationalspieler tritt er in den 100-Länderspiele-Club ein, er ist in diesem erlesenen Zirkel der einzige Nicht-Weltmeister. Trotzdem erweckt Joshua Kimmich nicht den Eindruck, vor der Kapitulation zu stehen. Sondern dem Gebot „Weiter, immer weiter“, wie einst von Oliver Kahn auf den Punkt gebracht, zu folgen. Er war selten verletzt, sagte selten ab, Spiele sind ihm keine Last. „Ich freue mich auf jedes“, versichert er.

Öffentlich ist er eine kontroverser diskutierte Figur als intern. Fans debattieren leidenschaftlich, ob er besser als rechter Verteidiger oder auf der Sechser-Position ist und ob sein Anspruch, Ecken und Freistöße auszuführen, anmaßend sei. Die Kollegen indes schätzen ihn ziemlich vorbehaltlos. „Man nimmt ihm die Art und Weise ab, wie er den Fußball lebt“, sagt Marc-Andre ter Stegen, „er ist den natürlichen Weg gegangen, in der Hierarchie immer höher gerutscht.“ Niclas Füllkrug freut sich, „wenn Jo beim Abschlussspiel in meiner Mannschaft steht, er ist ein richtig toller Fußballer. Und ein toller Typ.“ Nach der EM 2024 wurde Kimmich zum Kapitän der Nationalmannschaft ernannt. „Er macht das überragend gut“, lobt Sportdirektor Rudi Völler. Bundestrainer Julian Nagelsmann findet das ebenfalls: „Jo geht sehr wertschätzend mit dem Staff um, das zeigt seine extrem menschliche Seite. Von ihm gibt es immer kleine Prämien und Geschenke. Man kann es nicht besser machen.“

Er selber würde sich anlässlich des 100. Länderspiels nicht mit einer Prämie bedenken, denn: „Für Deutschland spielen zu dürfen, ist etwas sehr Spezielles. Jedes Spiel ist etwas Besonderes.“ Das hat ihn bislang angetrieben, und wenn er bewundernd auf Cristiano Ronaldo, der vor seinem 220. Match für Portugal steht, zu sprechen kommt, klingt die Bewunderung für einen durch, der wesensverwandt ist. Ronaldo hat (s)einen Sehnsuchtstitel gewonnen (EM 2016), aber darum nicht aufgehört.

Kimmich macht auch immer weiter in seinem dem Fußball untergeordneten Leben. „Früh schlafen gehen, in den Körper investieren.“ Kann ja gut sein, dass es angesichts der vielen Ausfälle bei der Nationalmannschaft („Schon bitter“) auch in der Nations League nicht zum Erfolg reicht und wieder ein Ziel unerreicht bleibt. Dann wird er auf die nächste Gelegenheit hinarbeiten. Rudi Völler sagt: „Er ist ja noch jung.“ 30. Also weiter.
GÜNTER KLEIN

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