Wieder gefragt beim DFB: Leon Goretzka. © dpa
München – Als Leon Goretzka im ersten Bayern-Heimspiel der Saison gegen den SC Freiburg für die Winzigkeit von einer Minute eingewechselt wurde, oder als es in den anschließenden Münchner Partien gegen Leverkusen und Frankfurt wie festgetackert auf der Bank saß und die Kameras seine Gesichtszüge scannten, um Unzufriedenheit, vielleicht sogar Rebellionsgeist festzustellen, dachte er nicht daran, ein Dreivierteljahr später ein gefragter Mann zu sein. Nicht nur wieder im Verein, sondern auch in der Nationalmannschaft, aus der er vor der Heim-Europameisterschaft 2024 hinauskomplimentiert worden war, sodass das ganze Land denken musste, er sei ein den Betriebsfrieden störender Stinkstiefel.
Diese These hat Bundestrainer Julian Nagelsmann damals schon einzufangen versucht („Spieler, die nicht dabei sind, sind keine schlechten Menschen“), trotzdem schien alles gegen Leon Goretzka zu laufen. Der FC Bayern sah in ihm mehr einen Kosten- als einen Nutzenfaktor, deklarierte ihn als Verkaufskandidaten. Goretzka hielt still. Er ließ sich nichts zuschulden kommen, er wartete auf seine Chance. Es trat die Situation ein, dass er doch wieder gelegentlich gebraucht wurde, dann sogar dauerhaft – und im März 2025, als Nagelsmann ihn in den Viertelfinals gegen Italien aufstellte, ging die Geschichte in die andere Richtung: Leon Goretzka nun ein sicherer WM-Kandidat, weil er nicht nur das defensive Mittelfeld koordinieren, sondern auch in die Spitze vorstoßen und mit seiner Kopfballwucht torgefährlich sein kann. Beim Rückspiel gegen die Italiener in Dortmund rief das Publikum seinen Namen: „Go-retz-ka, Go-retz-ka.“ Jubel für einen Bochumer und Schalker vom Feind nebenan.
Und gestern, am Abend vor dem Nations-League-Halbfinale gegen Portugal, saß der 30-Jährige neben Julian Nagelsmann bei der abschließenden Pressekonferenz. Der Bundestrainer verriet, dass Goretzka spielen werde, und der Spieler entschied sich, auch mal wieder zu sprechen, nachdem er, selbst als seine Lage sich aufgehellt hatte, Kontakt mit der Medienwelt vermieden hatte. „Ich bin glücklich, in diesem Stadion zu spielen“, erklärte Leon Goretzka, „und ich will immer den maximalen Erfolg. Meine Situation hat sich insofern geändert, dass ich einen Hauch mehr Dankbarkeit habe wegen des Wegs, den ich hierher gegangen bin.“ Er ließ noch etwas tiefer blicken. „Ich habe mir auch zuvor immer eingeprügelt, dass ich dankbar sein soll“, nun wisse er, dass er „ein Privileg“ genieße: Er darf doch noch ein Heimturnier spielen, wenngleich ein kleines. Aber es erinnert ihn an 2017, den Confed Cup. „Dessen Bedeutung wurde in Deutschland auch abgetan, doch für uns war es eine großartige Erfahrung. Und für mich und einige andere der einzige Titel.“
Dass er beim FC Bayern zwischenzeitlich zurückgestuft worden war, lag auch daran, dass sein Club viel Geld investiert hatte in Joao Palhinha, einen Rivalen um seine Position. Doch Goretzka kam am Ende auf doppelt so viel Bundesliga-Spielzeit wie der Portugiese. „Ich würde mich freuen, wenn er gegen uns spielt“, sagt Goretzka, „er hat keine leichte Saison hinter sich.“ Er versteht jetzt, wie das sein kann.
GÜNTER KLEIN