Julian Nagelsmann schaut genau hin – und möchte sein erstes Endspiel als Bundestrainer erreichen. © Karamann/DPA
München – „Als Deutschland“, sagt Joshua Kimmich, „muss man es immer im Kopf haben, den Titel gewinnen zu wollen, wenn man in ein Turnier geht“.
Als Deutschland. Die Verpflichtung des das Land repräsentierenden Deutschen Fußball-Bundes, seit Anfang der 70er-Jahre sich das Gefühl verfestigte, man sei ein Großer in diesem Sport. Nur verliefen einige der jüngsten Turniere nicht so deutschlandlike. WM-Vorrunden-Aus 2018 und 2022, auch die EM 2020/21 endete schmucklos früh im Achtelfinale. Deutschland wartet auf den Wiederaufschwung, glaubt aber, ihn seit gut einem Jahr wahrzunehmen. Und was bei der EM 2024 im eigenen Land begann, soll sich über die Nations-League-Endrunde 2025 im eigenen Land zur Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko weiterentwickeln.
Rein vom Resultat her war die EM 2024 mit der Endstation Viertelfinale gegen Spanien kein Erfolg, der einen Durchbruch markieren würde. Dennoch ist sich der DFB sicher, im vergangenen Sommer etwas ausgelöst zu haben. „Wir konnten die Verbindung zwischen Mannschaft und Land wieder herstellen“, meint Kapitän Joshua Kimmich, der im heutigen Nations-League-Halbfinale (21 Uhr, ZDF) in München gegen Portugal zum 100. Mal für das DFB-Team auflaufen wird. Die neue freundliche Wahrnehmung der Nationalmannschaft zeigte sich am Freitag in Herzogenaurach, als „an einem Brückentag“ (so Bundestrainer Julian Nagelsmann) und obwohl der fränkische Ort etwas abseits liegt, 4000 Zuschauer zum öffentlich einsehbaren Training herbeiströmten. In den „Home Ground“ beim Noch-Ausrüster (bis 2027) Adidas hatten die Spieler kommen wollen, weil sie die Atmosphäre in der Blockhüttenanlage schätzen – darum wurde mit der U21 getauscht, die ins Weimarer Land zog und sich dort auf ihre EM vorbereitete. Es wurden für die A-Mannschaft also Wunschbedingungen geschaffen.
Doch sie wird die beiden Aufgaben dieser Woche – am Sonntag gäbe es, verlöre man das Halbfinale, ein Spiel um Platz drei – nicht in absolut idealem Zustand angehen können. Nachdem im Champions-League-Finale Yann Aurel Bisseck (Inter Mailand) sich verletzte und im DFB-Training Jonathan Burkardt, stieg die Anzahl der Ausfälle in den zweistelligen Bereich. Dass Abwehrchef Antonio Rüdiger, Kreativgeist Jamal Musiala und im Angriff Kai Havertz und der in den März-Spielen gegen Italien starke Tim Kleindienst fehlen, ist nicht von Vorteil, wenn man auf einen Gegner trifft, den Niclas Füllkrug eine „Auswahl von Weltstars“ nennt. Vitinha, Joao Neves und Nuno Mendes haben am Samstag erst und eben in München, wohin sie nun nach der Siegesparade mit ihrem Club Paris Saint-Germain zurückkehren, eine Leistungsschau der neuen portugiesischen Generation geboten, sie waren am 5:0 gegen Inter Mailand in führenden Rollen beteiligt. Es spricht einiges dafür, dass Portugals Niederlagenserie gegen Deutschland endet.
Als Deutschland darf man die mögliche personelle Schwäche, die man offenbart, aber nicht thematisieren. „Wir haben einen ganz tollen Kader, in dem wir Dinge ausgleichen können“, ist sich Marc-Andre ter Stegen sicher. „Wir haben die Qualität, um eine Mannschaft wie Portugal zu schlagen“, sagt Niclas Füllkrug. „Mein Fokus richtet sich auf die, die hier sind. Wir haben eine schlagkräftige Truppe“, sagt Julian Nagelsmann. Es wäre sein erstes Finale, das er erreichen würde – oder sein zweites Scheitern. Die Mannschaft muss zeigen, dass sie so gut ist wie das Image, das sie von sich zeichnet. Und ob sie wirklich schon wieder Deutschland ist.
GÜNTER KLEIN