„Ich frage mich: Wo ist die FIBA?“

von Redaktion

Ex-Chef Bertomeu über die Euroleague und Konkurrenz aus den USA

Jordi Bertomeu bedauert, dass die Liga „keine Vision“ hat. © IMAGO

München – Er war der mächtigste Mann in Europas Basketball. Mehr als zwei Jahrzehnte führte Jordi Bertomeu die Geschäfte in der Basketball-Königsklasse Euroleague. Bis 2022 die Clubs aus eine Veränderung drängten. Doch was er seither beobachtet, ist für den 66-Jährigen Spanier Grund zur Sorge.

Herr Bertomeu, kürzlich sah man Sie beim Final-4 der Euroleague. Wie war der Besuch bei der alten Liebe?

Oh, Abu Dhabi war ein großartiges, sehr gut organisiertes Event. Aber man kann leider den Umstand nicht ignorieren, dass die Euroleague sehr instabil geworden ist. Diese Liga war meine große Leidenschaft. Ich mache mir schon Sorgen.

Spielen Sie auf Kritik wie die von Berlins Marco Baldi an, der sinngemäß sagte, die Euroleague zerreibe sich an den Einzelinteressen der Clubs?

Marco hat gesagt, die Liga hat keinen Plan, keine Vision. Und da stimme ich zu. Klar, die Liga gehört den Clubs. Aber es ist sehr wichtig, dass jeder seine Rolle versteht und dass man eine gemeinsame Linie findet. Mir gefällt der Umstand nicht, dass die Euroleague in den drei Jahren nach mir schon zwei Geschäftsführer hatte. Das hilft nicht.

Ihr aktueller Nachfolger Paulius Motiejunas war lange Jahre Club-Funktionär bei Zalgiris Kaunas. Eine Situation, die die Liga eigentlich vermeiden wollte…

Ach, ich weiß nicht. Es ist absolut legitim, mit einem Clubfunktionär zu arbeiten. Genauso wie es Argumente dafür gibt, jemanden von außen, aus den USA zu holen. Aber es ist bis jetzt einfach nicht gelungen, Ruhe in das System zu bringen.

Viele Clubs scheinen auf den nächsten Zug der NBA zu warten, die über eine Ausweitung nach Europa nachdenkt…

Ja, wobei ich vor allem die Rolle der FIBA nicht verstehe. Der Verband sagt: Schauen wir mal, was passiert. Man hat das Gefühl, dass man sich dort für die Zukunft des Basketballs gar nicht interessiert. Aber es ist auch schlecht, wenn Vereine nur abwarten. Anstatt mit einer Stimme zu sprechen. So wie es 2015 war, als die FIBA den Wettbewerb zu sich zurückholen wollte. Daraus ist etwas Gutes entstanden: die Euroleague in ihrem heutigen Format. Immerhin…

Bitte?

Ich bin sehr froh, dass die Euroleague gerade die Aufstockung auf 20 Teams beschlossen hat. Das ist ein Plan. Und ich hoffe sehr, dass man in naher Zukunft mit 24 weitermacht. Nach oben ist so eine Veränderung immer einfacher. Als wir auf das Ligaformat umgestiegen sind, war das anders. Damals sind wir auf 16 Teams nach unten gegangen und haben dann mit Bayern und ASVEL Villeurbanne auf 18 aufgestockt. Und ich denke, die letzten Jahre haben uns bestätigt.

Im bestehenden System bedeutet die Aufstockung aber auch die Ausweitung des ohnehin sehr dichten Spielplans. Einzelne Teams könnten auf mehr als 90 Partien kommen.

Das mag sein. Aber man darf nie vergessen, dass wir das alles für den Fan machen. Dass wir den Fans geben, was sie am meisten interessiert. Und es ist nun einmal so, dass wir bei Euroleague-Spielen 10, 15 oder 20 000 Zuschauer haben. Die Spiele sind voll, die Begeisterung ist riesengroß.

Allerdings verändert auch die Euroleague ihr Gesicht. Berlin ist als Standort weg, Dubai wird dazu kommen. Befürchten Sie keine Entfremdung?

Das sind zwei unterschiedliche Themen. Standorte wie die Emirate oder Saudi-Arabien gewinnen in vielen Sportarten an Gewicht. Solche Standorte auszuprobieren, ist für mich Teil des Geschäfts. Dass Berlin verloren gegangen ist, finde ich allerdings sehr schlecht. Berlin haben wir mit Wildcards ausgestattet, mit dem Ziel, dass Alba irgendwann eine feste Lizenz bekommt. Mit ähnlichem Hintergrund bin ich übrigens auch schon nach München gereist, als Bayern noch in der zweiten Liga gespielt hat. Weil wir eine Vision hatten. Und dazu gehörten solche Marken.

Trotzdem entstand die Champions League als eine Art Konkurrenzprodukt. Warum ist es im Basketball so schwer, an einem Strang zu ziehen?

Wir leben in einer Fußballkultur. Von dort kennt man es, dass die FIFA alles bestimmt. Aber im Basketball ist es anders. Die FIBA ist nicht die FIFA, sie ist nicht die Spitze der Sportart. Das ist die NBA. Was von dort kommt, hat Einfluss, sie ist das Zentrum der Show. Aber die Frage ist: Gehst du mit, oder versuchst du selbst ein starkes Produkt zu bieten.

Aktuell entzieht Nordamerika dem europäischen Basketball die Toptalente, die ans College gehen.

Ja, wir verlieren all diese Talente. Ein Club wie Real Madrid, wo seit Langem tolle Nachwuchsarbeit gemacht wird, denkt darüber nach, die Jugendabteilung abzuschaffen. Und auch da frage ich mich: Wo ist die FIBA? Warum ist es nicht möglich, in diese Entwicklung einzugreifen?


INTERVIEW: PATRICK REICHELT

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