Tennisspiele haben oft ihre Höhen und Tiefen, besonders, wenn sie über fünf Gewinnsätze gehen. Nicht so das French-Open-Finale zwischen Carlos Alcaraz und Jannik Sinner. Die beiden feuerten sich die Bälle von Minute eins an dermaßen um die Ohren, dass einem als Zuschauer wenig Zeit zum Atmen blieb. Und vermutlich würden sie heute noch die knapp 200 Quadratmeter große Einzel-Fläche des Court Philippe Chatrier bis auf den kleinsten Millimetern beackern, wenn man sich Anfang 2022 nicht dazu entschieden hätte, den fünften Satz auch in Paris mit einem Super-Tiebreak bis zehn Punkte zu beenden.
In der Sportberichterstattung werden gewisse heroisierende Begrifflichkeiten meist zu inflationär verwendet, doch dieses Duell darf man getrost als episch bezeichnen. Auch, dass dieser Abnutzungskampf keinen Verlierer verdient hatte, dürfte Konsens sein. Und doch durfte am Ende nur einer jubeln – Carlos Alcaraz. Der Spanier sorgte mit seinem Triumph an einem außergewöhnlichen Abend für einen mythischen Schlusspunkt. Denn mit 22 Jahren, 1 Monat und 3 Tagen war der junge Mann aus Murcia auf den Tag exakt so alt wie Rafael Nadal bei seinem fünften Grand-Slam-Erfolg. Der hatte am 6. Juli 2008 Roger Federer in Wimbledon niedergerungen. Das Match und das Ergebnis waren ähnlich spektakulär: 6:4, 6:4, 6:7, 6:7, 9:7.
Dass zwischen den beiden Spaniern Vergleiche herangezogen werden, liegt nahe. Doch diese Parallelität der Ereignisse ist fast unheimlich. Nadals Fußstapfen auszufüllen ist eigentlich unmöglich, doch Alcaraz wandelt definitiv auf seinen Spuren. Eine Gemeinsamkeit ist der Kampfgeist. Aufgesteckt hat der neue und alte Paris-Champion am Sonntagabend nie, auch als er im dritten Satz mit Break zurücklag und Matchbälle abwehren musste. Doch in ihm nur eine Kopie zu sehen, würde Alcaraz nicht gerecht werden. Der 22-Jährige pflegt seinen ganz eigenen Stil. Natürlich mit ähnlich viel Power in der Vorhand wie einst Nadal, aber gepaart mit einem Hang zu Stopps und Spielereien. Die Zeit des reinen Grundlinien-Gedresches ist ein Stück weit passé. Und noch eine – aus deutscher Sicht bittere – Erkenntnis hat das Finale zutage gebracht: Von diesem Niveau ist Alexander Zverev ein großes Stück entfernt. Und übrigens: An der Seite von Alcaraz jubelte auch Trainer Juan Carlos Ferrero – den hatte Zverev Anfang 2018 nach nur sieben Monaten Zusammenarbeit wieder fortgeschickt.MATHIAS.MUELLER@OVB.NET