Ein paar Muskeln müssen noch weg: Sophie Alisch. © Cavan
Kraftvoll zugelangt: Alisch (r.) entschied als Profi-Boxerin alle zehn Profikämpfe für sich.
Die neue Realität: 2028 will Alisch auf olympischen Strecken fahren.
Campos – Die Boxschuhe stehen im Schrank, Pokale türmen sich. Sophie Alisch sitzt in ihrer Wahlheimat Mallorca in einem Zimmer, das für die Trophäensammlung und als Atelier dient. Und spricht mit unserer Zeitung über die neue Herausforderung. Beim Boxen schaffte die 23-Jährige es mit 16 Jahren in den Olympia-Kader, gewann ihre zehn Profikämpfe. Nun wechselt sie auf das Rennrad, mit einem ambitionierten Ziel: die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles.
Sophie Alisch, vom Boxring auf das Rennrad. Was hat zu der Entscheidung geführt?
Ein Rennrad besitze ich schon seit einem Jahr. Ich wollte parallel zum Boxen die Ausdauer steigern. Auf dem Rad fühle ich mich einfach wohl, da bekomme ich den Kopf frei. Es war keine Entscheidung, die über Nacht kam. Aber ich habe gemerkt, dass die Entwicklung im Frauen-Boxen rückläufig ist. Vor vier, fünf Jahren gab es noch auf jeder Fight Card einen Frauenkampf. Das wurde immer weniger. Wir verfallen wieder in alte Muster, bewegen uns überhaupt nicht von der Stelle und es gibt keine Aussicht auf Besserung.
Hat Ihnen also die Perspektive beim Boxen gefehlt?
Ich bin ein Wettbewerbs-Typ, deshalb mache ich den Leistungssport. Ich möchte mich messen, dafür trainiere ich jeden Tag stundenlang und verzichte auf Privatleben. Mich gibt es gar nicht ohne Sport. Zwei, dreimal im Jahr kämpfen – das war mir viel zu wenig. Du investierst so viele Stunden, stehst dann zwanzig Minuten im Ring, und das war es erstmal wieder. Ich bin immer tiefer in den Radsport eingetaucht, habe viele Rennen verfolgt und gemerkt, wie sich der Frauenradsport entwickelt. Ich habe einen Monat lang mit mir gerungen, ob ich wirklich wechseln will. Meine Familie hat mich bestärkt und ich habe gemerkt: Mein Herz schlägt für Rennrad, die Leidenschaft ist voll da. Ich liebe Boxen, der Sport hat meine Persönlichkeit geformt. Aber das Drumherum hat mich nicht erfüllt.
Wie gehen Sie die neue Mission Radsport an?
Es ist eine komplett neue Welt. Ich werde mich quälen müssen auf dem Rad. Aber ich bringe alles aus dem Leistungssport mit und bin es gewohnt. Ich habe mir einen Zeitrahmen von zwölf bis 16 Monaten gesetzt, um mich im Radsport an die Weltspitze heranzuarbeiten, ein professionelles Team möchte ich noch dieses Jahr finden. Meinem Trainer José Antonio Bolívar habe ich gesagt: Ich will nicht leicht anfangen, lad mir das volle Programm auf.
Im Peloton zu fahren, das ist eine Kunst für sich. Haben Sie Respekt vor dieser Herausforderung?
Ich kann mir vorstellen, dass es in so einem Feld viel Druck gibt. Jede drückt irgendwo rum, möchte sich durchquetschen. Aber ich stand im Ring. Da hast du einen Gegner, der auf dich springt, dir wehtun und dich besiegen möchte. Da wird es auch schon mal richtig ungemütlich. Ich bin es gewohnt, mich durchzusetzen. Ich habe eine mentale Stärke entwickelt, da kann mich so schnell nichts aus der Bahn werfen. Es wird sicher eine Umstellung, aber ich habe keine Angst davor.
Beim Boxen geht es viel um das Spiel mit dem Gewicht, für das Radfahren ist jetzt noch mal ein anderer Körpertyp gefragt.
Ich musste zum Glück nie diese harten Weight-Cuts machen. Ich musste immer maximal drei bis vier Kilo runtergehen. Das Volumen vom Essen ist jetzt immens gestiegen. Ich bin eigentlich die ganze Zeit am Essen, das macht mich glücklich (lacht). Das kenne ich aus dem Boxen so nicht. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Zucker zu mir genommen. Du musst ständig Energie nachschieben, sonst brichst du komplett ein. Beim Oberkörper muss ich noch ein bisschen abbauen, weil ich so viel Muskelmasse nicht brauche. Ich merke, wie mein Körper sich verändert. Ich habe schon fünf Kilo verloren.
Sie starten neu in einer Sportart und setzen sich die Olympischen Spiele 2028 als Ziel, das ist sehr ambitioniert.
Ich finde, das ist ein realistisches Ziel. Man darf nicht vergessen, dass ich aus einer der härtesten Sportarten komme, die es gibt. Ich habe mich mental wie auch körperlich viele Jahre auf höchstem Niveau bewegt und Erfolge gefeiert. Wenn ich etwas will, dann gebe ich alles für diesen Traum. Ich bin jetzt „all in“ gegangen für den Radsport und werde alles in die Waagschale werfen.
Gab es mal einen Moment, wenn Sie sich einen Berg hochquälen mussten, in dem Sie dachten: Boxtraining wäre jetzt schon angenehmer?
Es gibt hier auf Mallorca schon Höllenstrecken. Da gibt es immer mal Momente, in denen du dir denkst: Was mache ich hier gerade eigentlich? (lacht). Aber ich habe eine hohe Schmerzgrenze, ich kann extrem gut leiden, das ist perfekt für den Radsport. Mein Vater sagt manchmal: Wenn ich dir zusehe, tut mir das schon leid. Ich kann in hohen Belastungszonen anaerob trainieren, da werde ich erst warm. Das wird mich weiterbringen.
INTERVIEW: NICO-MARIUS SCHMITZ