Der Ball steht im Mittelpunkt: DFB-Kapitänin Gwinn. © IMAGO
Herzogenaurach – Der Kopf bleibt bitte oben. Giulia Gwinn senkt ihn im Trainingslager in Herzogenaurach nur, wenn sich Deutschlands Vorzeigefußballerin auf dem Adi-Dassler-Sportplatz zum Autogrammeschreiben herunterbeugt. Die Verteidigerin vom FC Bayern ist das gefragteste Gesicht vor der Frauen-EM in der Schweiz (2. bis 27. Juli). Dass die 25-Jährige erstmals als Kapitänin in ein Turnier startet, ist nach zwei Kreuzbandrissen 2020 und 2022 keine Selbstverständlichkeit.
Diese Tiefpunkte der Karriere sind ausführlich in ihrem Buch („Write your own story – Mein Weg vom Bolzplatz in die Weltspitze“) beschrieben. Auch deshalb mag sie nicht einfach den neunten EM-Titel versprechen: „Vor einem halben Jahr hätten alle gesagt: ‚Die werden nichts reißen.‘ Nach den letzten beiden Spielen glaubt vielleicht doch jeder an uns. Viel wichtiger ist, dass wir an uns glauben.“
Ihr Führungsstil ist anders als der ihrer Vorgängerin Alexandra Popp. Die Torjägerin ging mitunter ruppig, auch mal unkonventionell vor. Unvergessen, wie „Poppi“ vor dem EM-Finale 2022 mit aufgeklebtem Schnauzer zur Pressekonferenz erschien, weil sie ein Satire-Magazin für die Bezeichnung „Alexander Bopp“ auf die Schippe nehmen wollte. Gwinn würde sich niemals so verkleiden. So viele Ecken und Kanten bietet die bodenständige Sympathieträgerin nicht. Und im Gegensatz zu Popp hat sie auch mit der Popularität (noch) kein Problem: „Man macht ein Bild oder gibt ein Autogramm: Ich sehe das immer noch als große Wertschätzung. Ich glaube nicht, dass es so krass ist wie bei den Männern, die sich ja gar nicht mehr draußen bewegen können.“
Auf dem Platz übernimmt sie nicht nur am Elfmeterpunkt Verantwortung (elf Versuche, elf Treffer). Co-Trainerin Maren Meinert kennt Popp bestens, weil die ihre Anführerin bei der U 20-WM in Deutschland 2010 war. Zu Gwinn sagt die nun 51-Jährige: „Für uns ist sie die ideale Kapitänin.“ Zwar „nicht die Lauteste auf dem Platz“, wie Vizekapitänin Janina Minge anmerkt, „aber Giulia geht durch ihre Spielweise voran. Sie will, dass sich alle wohlfühlen.“ Die neue Generation verlangt flachere Hierarchien. Der Chefin ist wichtig, „dass sich jede mit mir auf einer Stufe sieht.“ Ihr Credo: Kommunikation auf Augenhöhe.
Einiges erinnert an das Gefüge beim letzten EM-Titel 2013, als Bundestrainerin Silvia Neid durch zahlreiche Absagen zur Verjüngung gezwungen war. Nur musste Torhüterin Nadine Angerer damals in Schweden die Rasselbande nach einer holprigen Vorrunde erst zur Aussprache auf der Insel Öland bitten, damit das Team auf Titelkurs kam. Gwinn versichert, dass auch sie zur Krisenmanagerin taugen würde, die hinter verschlossenen Türen auf den Tisch haut. Lieber würde sie allerdings vorbauen, indem „wir alle anstehenden Dinge offen und ehrlich ansprechen.“ Unter ihr habe niemand zu befürchten, „dass einem der Kopf abgerissen wird.“ Der bleibt bitte oben.FRANK HELLMANN