„Die normalen Kämpfe sind vorbei“

von Redaktion

Schwergewichtler Granit Shala nähert sich den Top 15 und träumt von Riad

Erfolgs-Team: Shala und Trainer Kurtisi. © Luan Lücht

Im Ring dann nicht mehr so sanft: Granit Shala bei seinem Sieg gegen Daniel Dietz. © Luan Lücht

Unterschleißheim – Vom dicken Jungen, der in der Schule gehänselt wurde, zum Boxer, der seinen Weg Richtung Weltspitze geht – das ist die Geschichte des Landshuters Granit Shala. Am Samstag geht es für den 28-Jährigen im Unterschleißheim, wo er in der Fight Power Academy von Agron Kurtisi trainiert, gegen den Rumänen Alexandru Jur um den Continental Title der WBA im Schwergewicht. Titel der Verbände IBF und IBO holte Shala sich bereits im Dezember 2024 mit einem Punktsieg gegen Daniel Dietz. Die Gala „Ring of Fire“, die Agron Kurtisi zum 20. Mal veranstaltet, findet im Unterschleißheimer BalhausForum statt (Einlass 17.30 Uhr, diverse Kämpfe)-

Granit, in der Berichterstattung werden Sie „Der sanfte Riese“ genannt. Trifft es das?

Von meinem Wesen stimmt es. Aber es ist meistens so, dass die, die gefährlich aussehen, sanft sind. Bei mir gilt: Weiche Schale, weicher Kern.

Ist es nicht kontraproduktiv, wenn ein Boxer als sanft gilt?

Ein Boxer entwickelt zwei verschiedene Gesichter. Wenn es in die Kampfwoche geht, ist man im Tunnel und auf Angriffsmodus. Wenn der Kampf vorbei ist, bin ich wieder sehr entspannt.

Warum ist Boxen Ihr Sport geworden?

Weil ich für alles andere zunächst zu dick war. Ich habe mit Fußball angefangen, das hat gar nicht geklappt, ich wog mit acht, neun Jahren schon 80, 90 Kilo, war aber halt immer auch größer als die anderen. Dann bin ich zum Kickboxen, war allerdings auch da zu dick, konnte meine Beine nicht hochheben. So bin ich beim Boxen gelandet, das hat sich besser angefühlt.

Gab es ein Vorbild?

Ich habe wegen dem Film „Ali“ mit Will Smith mit Boxen angefangen. Ich habe Muhammad Alis Stil, seine schnellen Jabs, mit meinem dicken Bauch vor dem Spiegel zu imitieren versucht. Ich kannte fast alle seine Kämpfe auswendig. Wenn es ums Boxen geht, ist er eigentlich ganz anders als ich, ein Großkotz, aber außerhalb versuche ich so zu sein, wie er: auf dem Boden bleiben, für Gerechtigkeit sorgen.

Entsprang das Übergewicht Veranlagung oder Undiszipliniertheit?

Wir sind fünf Kinder, und wie es bei Großfamilien ist, kann nicht auf alles geachtet werden. Auch wenn meine Eltern die Küche abgeschlossen haben – man kommt ja immer an Essen ran. Und an Softdrinks. Zum Glück hat sich das alles gewendet.

Vor allem in der Corona-Zeit haben Sie Gewicht verloren…

Alle haben zugenommen, ich abgenommen. 40 Kilo in einem Jahr. Ich sehe jetzt auch anders aus, weil ich viel Krafttraining gemacht habe.

Was ist das ideale Gewicht für Ihre Klasse?

Früher musste man athletisch aussehen wie die Klitschkos, jetzt zählt eher das Wohlfühlgewicht, und das liegt bei mir bei 117, 118 Kilo. Ich hatte schon 140, aber auch mal 114…

… und prompt bezogen Sie mit Ihrem niedrigsten Gewicht Ihre einzige Niederlage als Profi, 2023 gingen Sie in Berlin gegen Oleksandr Zakhozhyi in der zweiten Runde k.o. Wie war das?

Als wäre mir der Stecker gezogen, die Verbindung zwischen Hirn und Körper gekappt worden. Wir haben es analysiert. Höchstwahrscheinlich war es eine Überspannung bei mir. Die Connection zu meinem Körper habe ich erst wieder gefunden, als ich in der Kabine zu mir gekommen bin. Aber daraus lernt man, und diese Erfahrung hat mich aufs nächste Level gebracht. Ich dachte, das sind nur Sprüche, aber man kann wirklich stärker zurückkommen. Wenn man zehn Jahre nicht verliert, ändert man nichts. Nach einer Niederlage überdenkt man vieles, und ich habe im letzten Jahr die Erfolge bekommen. Für mein Gewicht bin ich explosiv, schnell, habe auch eine gute Ausdauer.

Der weltbeste Schwergewichtler, Oleksandr Usyk, ist 38, sein großer Widersacher Tyson Fury 36, etliche Schwergewichtler stehen im vierten Lebensjahrzehnt. Hat man heute im Boxen eine längere Karriere?

Bei Fury merkt man: Durch seinen Lebensstil hat er Körner gelassen. Aber grundsätzlich: Ja, und das ist auch in den niedrigeren Gewichtsklassen so. Die Zeit geht mit, die Medizin, die Technik. Die Boxer werden mehr geschont, die Match-ups sind politisch durchdachter. Früher hatten alle 50 bis 70 Profikämpfe in ihrer Bilanz, jetzt bei weitem nicht.

Ihr Schnitt sind zwei Kämpfe im Jahr – ausreichend?

Maximal drei gingen, dann ist Sense. Man sagt: Pro Runde, auf die der Kampf angesetzt ist, benötigt man eine Woche konzentrierte Vorbereitung. Also: zwölf Runden, zwölf Wochen. Und der Kampf, den man mit den eigenen Gedanken führt, ist auch aufreibend, man führt sich ständig vor Augen, was der Gegner gerade macht. Nach meinem letzten Kampf gegen Daniel Dietz habe ich ein, zwei Wochen gebraucht, um davon wieder runterzukommen, Durch das ganze Adrenalin war ich zwei Tage wach. Aber wenn die große Last weg ist, kann man mal eine Woche so leben, wie man will.

Und die finanzielle Seite?

Mit zwei Titelkämpfen im Jahr komme ich über die Runden, kann in Vollzeit boxen. Aber Millionär wird man nicht. Dafür müsste man nach Saudi-Arabien kommen.

Wollen Sie?

Wenn‘s um Romantik geht, will man im Mekka des Boxens, im New Yorker Madison Square Garden, kämpfen. Aber wenn‘s ums Finanzielle geht, kommt an Riad nichts ran, deshalb gehen alle Promoter dorthin. Agit Kabayel (bester deutscher Schwergewichtler, bestritt die letzten drei Kämpfe in Riad, d. Red.) ist das perfekte Beispiel, großer Respekt an ihn, ich möchte das auch schaffen.

Wie kommt man rein?

Man braucht schon Vitamin B. Noch mehr als die Leistung.

Und man kriegt so viel mehr, nur weil es bei den Saudis ist?

Es ist eine andere Liga. Das Drei- bis Vierfache. Sie holen ja alles rüber: Formel 1, Boxen, UFC, Fußballer.

Sie haben Peter Kadiru, einen der besten deutschen Schwergewichtler, schon bei den Amateuren besiegt. Kadiru wiederum hat den Engländer Daniel Dubois, der demnächst gegen Oleksandr Usyk um alle WM-Gürtel boxen wird, geschlagen. Sagen solche Quervergleiche etwas aus über das Potenzial von Boxern?

Olympisches Boxen und Profiboxen sind zwei verschiedene Sportarten, deshalb sind Quervergleiche schwierig. Es kommt vieles aufs Management an: Wie wird ein Boxer geführt, wie viel wird in ihn investiert? Vielleicht ist man da in England besser aufgestellt. Es ist jedenfalls ein größeres Ziel von mir, noch einmal gegen Peter Kadiru zu boxen. Das ist Norden gegen Süden, das hat immer gezogen.

Was bedeutet es, wenn es bei einem Kampf auch um einen Titel geht?

Ein Titelkampf ist riskanter, weil man dadurch auch zurückgeworfen werden kann. Aber er ist die Chance, nach vorne zu gehen. Gewinne ich am Samstag, komme ich bei der WBA, einem der vier großen Verbände, unter die Top 15. Die Zeit der normalen Kämpfe ist für mich vorbei.

INTERVIEW: GÜNTER KLEIN

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