„Ich habe gelernt wegzuhören“

von Redaktion

Alexander Zverev führt ein deutsches Mini-Aufgebot in Wimbledon an

Noch keine Liebe: Zverev und Wimbledon. © dpa

London – Alexander Zverev musste kurz nachdenken. Im Jahr des 40. Jubiläums von Boris Beckers Sensationstriumph führt er in Wimbledon ein deutsches Rumpfaufgebot historischen Ausmaßes an. Wäre es bei der Jagd nach dem ersehnten ersten Grand-Slam-Triumph nicht besser, wenn sich der Fokus der deutschen Öffentlichkeit nicht nur auf ihn richten würde?

„Es würde einem schon helfen. Ich glaube aber nicht, dass in den nächsten paar Jahren jemand so nachkommt, dass ich weniger Druck spüren werde“, sagte Zverev. „Am Ende des Tages bin ich 28, ich habe gelernt, da wegzuhören, so dass es einem egal ist.“

Im Einzel sind nur noch Jan-Lennard Struff und Daniel Altmaier an seiner Seite – so wenige deutsche Männer gab es beim Rasen-Klassiker zuletzt 1983. Da auch lediglich Tatjana Maria, Eva Lys, Laura Siegemund und Ella Seidel im Damen-Hauptfeld stehen, ist die Zahl der deutschen Tennisprofis mit sieben so gering wie zuletzt vor 43 Jahren. Gesetzt ist außer Zverev kein weiterer Deutscher.

„Die ganze Last hängt immer auf ihm“, analysierte Andrea Petkovic vor dem Turnierstart am Montag. „Der Arme hat wahrscheinlich Rückenschmerzen von all dem Druck, den er rumtragen muss mit sich.“ In Deutschland besitzt Zverev eine Ausnahmestellung. International werden vor seinem insgesamt 38. Anlauf auf einen Grand-Slam-Triumph aber wieder einmal andere Stars wie Titelverteidiger Carlos Alcaraz, Jannik Sinner und Novak Djokovic als Favoriten genannt.

„Ich denke, die Leute vergessen, dass ich immer noch die Nummer drei der Welt bin“, sagte Zverev zu den Erwartungen auf dem von ihm lange eher ungeliebten Rasen. „Ich hatte vielleicht hier und da ein paar unerwartete Niederlagen. Aber ich fühle, dass meine Form zurückkommt.“ Noch nie kam Zverev in Wimbledon bislang über das Achtelfinale hinaus – bei acht Auftritten. Zuletzt präsentierte Zverev sich bei den Turnieren in Stuttgart (Finale) und im westfälischen Halle (Halbfinale) in ordentlicher Verfassung, gewann so viele Vorbereitungsspiele auf Rasen wie erst einmal in seiner Karriere.

Auf dem legendären Centre Court startet Zverev am Montagnachmittag gegen den französischen Außenseiter Arthur Rinderknech ins Turnier. Im Viertelfinale könnte es zu einem Duell mit Angstgegner Taylor Fritz kommen, dem er zuletzt fünfmal in Serie und auch im Finale von Stuttgart unterlegen war.

Ob Zverev auch nach weiteren derartigen Niederlagen die Kunst des Weghörens für die Ratschläge von Boris Becker anwendet, wird sich noch zeigen müssen. Die Tennis-Legende hatte Zverev nach dem Viertelfinal-Aus bei den French Open zu einem veränderten, neuen Umfeld und zu einem Trainerwechsel geraten – und damit die deutsche Nummer eins verärgert. Wenige Tage vor dem Start wiederholte Becker seine Meinung im Podcast mit Petkovic: „Sein Anspruch ist, die Nummer eins der Welt zu sein. Und da meine ich, dass vielleicht eine neue Stimme von außen, vielleicht nur bei den Grand Slams, ihm etwas Neues beibringt.“

Auch dass Zverev gegen die Topstars zu ausrechenbar ist, kritisierte der 57-Jährige erneut. „Es liegt jetzt an ihm, sich da weiterzuentwickeln, um auf den Mount Everest des Tennis zu kommen“, betonte Becker. „Ich bin überzeugt, dass er es schaffen kann.“DPA

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