Sturz-Chaos bei der Tour

von Redaktion

Risiko-Mentalität sorgt für Ausfälle und Kritik – van der Poel an der Spitze

Auch Emilien Jeanniere hat‘s erwischt. © Venance/AFP

Abtransport mit Halskrause: Jasper Philipsen.

„Die erste Woche ist vermutlich die gefährlichste, weil jeder glaubt, er kann Radsport-Historie schreiben“, sagt BORA-Red-Bull-Sportdirektor Rolf Aldag – aus seinem Team erwischt es Sprinter Jordi Meeu. © Venance/AFP, Meuleneir/imago

Rouen – Knochenbrüche, zerfetzte Trikots und blutige Wunden – das befürchtete Sturz-Chaos bei der Tour de France ist an den ersten Tagen eingetroffen und führte bereits zu namhaften Ausfällen wie Sprint-König Jasper Philipsen. Alle Bemühungen des Weltverbandes UCI mit der Einführung von Gelben Karten oder Änderung der Kilometer-Regel brachten nichts – auch weil die Fahrer beim größten Radspektakel der Welt an die Grenzen gehen – und darüber hinaus.

„Die Tour ist nach der Weltmeisterschaft das Größte, was man als Radprofi erreichen kann. Deshalb ist die Risikobereitschaft hier extrem hoch“, erklärte Sprinter Phil Bauhaus. Am Dienstagnachmittag entschied Superstar Tadej Pogacar die vierte Etappe der diesjährigen Tour für sich, Florian Lippowitz fuhr als 33. ins Ziel. Pogacar hat es zwar bei der 112. Tour de France erstmals richtig krachen lassen, die Rückkehr ins Gelbe Trikot aber hauchdünn verpasst. Dieses behält zumindest bis Mittwoch sein Dauerrivale Mathieu van der Poel.

Die größte Sprint-Attraktion im Feld ist bereits raus – für längere Zeit. Der Belgier Philipsen, der nach einem Rempler beim Zwischensprint bei Tempo 61 zu Fall kam, erlitt nach einer ersten Diagnose einen verschobenen Bruch des Schlüsselbeins und mindestens eine Rippenfraktur. Er wurde inzwischen bereits im Krankenhaus von Herentals operiert.

„Der zerbrochene Traum“, titelte die „L‘Equipe“ und beim belgischen TV-Sender Sporza war online zu lesen: „Vom Himmel in die Hölle. Jasper Philipsens Tour de France ist vorbei.“ Auch sein prominenter Teamkollege Mathieu van der Poel war schwer betroffen: „Es ist großer Mist, ihn zu verlieren. Nicht nur auf dem Rad, sondern auch am Tisch. Er ist ein guter Freund.“

Neben Philipsen sind auch der zweimalige Weltmeister und Bahnrad-Olympiasieger Filippo Ganna aus Italien sowie der Schweizer Stefan Bissegger – zwei der weltbesten Zeitfahrer – nach Stürzen bereits zu Hause und damit Opfer des jährlichen Spektakels Tour.

Dabei hatte die UCI extra Maßnahmen wie die Einführung von Gelben Karten ergriffen. Bei zwei Verwarnungen in einem Rennen erfolgt eine siebentägige Sperre. Drei Gelbe Karten innerhalb von 30 Tagen ziehen eine Sperre von 14 Tagen nach sich.

Der Franzose Bryan Coquard wurde als Sturz-Verursacher bei Philipsen ausgemacht und enthielt eine entsprechende Verwarnung sowie 500 Schweizer Franken Strafe und einen Abzug von 13 Punkten. Philipsens Teamkollege Jonas Rickaert dürfte das genauso wenig beruhigen wie die Entschuldigung des Franzosen. „Er hat mir gesagt, dass er nichts machen konnte, aber es ist nicht das erste Mal, dass er im Zwischensprint zu viel Risiko nimmt, obwohl er sie nicht gewinnen kann. Für zehn Punkte sein Leben riskieren, das ist der Wahnsinn.“

Die Ausweitung der sogenannten Drei-Kilometer-Regel auf bis zu fünf Kilometer verhindert zwar keine Stürze, sorgt aber zumindest für etwas Entspannung bei den hektischen Zielankünften. Bei Stürzen auf Flachetappen innerhalb dieses Bereiches werden die betroffenen Fahrer mit der gleichen Zeit der Gruppe zum Zeitpunkt des Zwischenfalls gewertet. Das hat immerhin die Topstars um Titelverteidiger Tadej Pogacar in Dünkirchen vor einem Zeitverlust bewahrt. Die beiden Red-Bull-Hoffnungsträger Primoz Roglic und Florian Lipowitz sind bislang auch – wenngleich mit geringem Zeitverlust – gut durchgekommen. „Die 30 Sekunden werden nicht die Tour entscheiden, ein schwerer Sturz schon“, meinte jüngst Aldag. Bislang geht die Rechnung auf.DPA

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