Immer super gestylt: Wout van Aert. © Imago
Entertainer aus Amerika: Quinn Simmons. © Imago
Hier wollen alle Fahrer hin: In einem kleinen Camper erfüllt Wolfram die Wünsche des Pelotons. © Mr. Pinko
„Man fiebert mit den Fahrern mit“: Jasper Philipsen musste nach einem Sturz leider aus der Tour aussteigen. © Mr. Pinko
„Er ist total offen, der Typ von nebenan“: Nico Wolfram mit Tour-Favorit Tadej Pogacar. © Mr. Pinko
Nico Wolfram schneidet dem Peloton die Haare. Ein kleiner Camper von Alpecin ist der Sehnsuchtsort aller Radfahrer, die schick frisiert an den Start gehen wollen. Wolfram, Friseur-Weltmeister von 2008, spricht im Interview mit unserer Zeitung über nahbare Stars, besonders schöne Haare und den Endgegner Helm.
Nico Wolfram, Sie schneiden den Radsport-Stars die Haare. Wie ist es dazu gekommen?
Ich habe parallel zu meiner Ausbildung schon an Wettbewerben auf nationaler Ebene teilgenommen. Ich habe es schnell in die Nationalmannschaft der Friseure geschafft. Das ist ein Sport wie jeder andere auch, es gibt auch einen Bundestrainer. 2008 in Chicago bin ich Weltmeister geworden, danach ist die Industrie auf mich aufmerksam geworden. Ich bin bei der Firma Alcina in Bielefeld gelandet (Anm. d. Red., gehört zur Dr. Wolff Group, auch Alpecin zählt zu den Marken). Alpecin sponsort seit 1949 den Radsport, 2019 zum Jubiläum sollte etwas Besonderes auf die Beine gestellt werden. Ein Wohnwagen wurde zu einem mobilen Friseursalon umgebaut. Damit waren wir dann beim Tour-Start in Brüssel. Zu dem Zeitstand war mein Wissensstand beim Radsport noch auf Zabel und Ullrich stehen geblieben …
Und dann waren Sie plötzlich mittendrin im Radsportzirkus …
Da saßen Weltstars auf meinem Stuhl, aber ich kannte niemanden (lacht). Das hat mir den Einstieg leichter gemacht, weil ich komplett unvoreingenommen war. Eigentlich sollten wir damals nur den Tour-Start machen, als einmalige Geschichte. Es war so erfolgreich, dass wir im selben Jahr noch bei der Deutschland-Tour und bei der Weltmeisterschaft in Yorkshire waren. Mittlerweile sind wir bei allen wichtigen Veranstaltungen im Radsportkalender. Wir sind der „Barber of the peloton“, es können also nicht nur Fahrer, sondern auch Mechaniker, Physiotherapeuten, Köche, Busfahrer usw. zu uns kommen.
Dieses Jahr waren Sie die Woche vor dem Tour-Start im Einsatz.
Am zweiten Ruhetag sind wir wieder vor Ort. Wir haben es dieses Jahr nicht geschafft, allen Teams gerecht zu werden. Es gibt 16 Teams, von elf Teams sind wir angefragt worden, die haben wir auch geschafft. Ich schneide dann wirklich von morgens bis abends. Zum Schluss kamen weitere Anfragen, wie von Bora-hansgrohe, das war leider zu spät. Auch Remco Evenepoel hat schon gefragt, wann wir wieder da sind.
Es warten noch einige Etappen mit Hitze auf die Fahrer. Da müsste die Kurzhaar-Frisur von Evenepoel doch ideal sein.
Definitiv. Bei so kurzen Haaren muss man aber auch alle 14 Tage nachschneiden, damit es gut aussieht und die Konturen sauber sind. Die Qualität von einem Kurzhaarschnitt geht sehr schnell verloren. Ein Pep Guardiola geht sicherlich auch einmal in der Woche zum Friseur.
Sie haben Jasper Philipsen die Haare geschnitten. Erst gab es das Gelbe Trikot, dann den Sturz und den Ausstieg.
Da bekomme ich gerade schon wieder Gänsehaut. Das tut schon weh. Für uns war das zunächst ein Traumstart. Erst Philipsen im Gelben Trikot, dann Mathieu van der Poel. Der Sturz war brutal und holt einen wieder auf den Boden zurück. Ich fiebere da extrem mit. Du baust Beziehungen zu den Fahrern auf. Ich sag es mal salopp: Ich hatte noch keine Diva, noch keinen Arsch bei mir auf dem Stuhl. Die sind alle nahbar und sympathisch. Ich nehme keine Starallüren wahr. Bei mir im Laden läuft jedes Radrennen. Es kommt häufig vor, dass ich die Schere weglege und die Fahrer aus Niederschmalkalden anbrülle.
Auch Tadej Pogacar ist „Kunde“ von Ihnen.
Er ist ein ganz einfacher Mensch. Total offen, der Typ von nebenan. Er war letztes Jahr beim Tour-Start in Florenz bei mir. Später waren wir einmal beim Team seiner Freundin Urska Zigart. Abends habe ich irgendwann aus dem Wagen rausgeschaut und dachte mir: Wer steht denn da in der Ecke? Es war Tadej, der ganz vorsichtig gefragt hat, ob er noch mal einen Haarschnitt bekommen könnte. Er hat sich auch direkt entschuldigt, dass er kein Geld dabei hat und später bezahlt. Wir bieten unsere Dienste natürlich für umsonst an.
Wer hat besonders schöne Haare im Peloton?
Wout van Aert hat top Haare und ist immer super gestylt. Auch Peter Sagan ist herausgestochen, als er die Haare noch länger getragen hat. Er saß auch bei mir. Bei Arnaud De Lie ist es besonders, weil er so krasse Locken hat. Der legt auch viel Wert auf seinen Style.
Und dann gibt es da noch Quinn Simmons mit seiner wilden Erscheinung.
Quinn Simmons habe ich schon die Haare geschnitten, als er noch eine Frisur hatte (lacht). Vor der Tour habe ich jetzt nur den Bart getrimmt. Die Frisur wollte er so lassen, er ist ein amerikanischer Showman und will die Leute entertainen. Übrigens: 95 Prozent der Fahrer, die letztes Jahr einen Vokuhila hatten, tragen jetzt wieder kurz.
Kann eine Frisur nach einer Etappe überhaupt noch gut aussehen?
Nein. Der Helm ist der Endgegner, die Abdrücke, der Schweiß, da liegt kein Haar mehr. Entweder haben die Fahrer den Helm auf, nach der Etappe dann die Kappe mit den Sponsoren. Es ist also gar nicht so leicht, sich an meiner geschnittenen Frisur zu erfreuen (lacht).
NICO-MARIUS SCHMITZ