Tinder für den Transfermarkt

von Redaktion

Auf der Suche nach Talenten setzen die Clubs vermehrt auf Daten und KI

Daten, Daten, Daten – Fußballprofis sind heute gläsern. © ChatGPT

München – Wie Schatzsucher auf der Jagd nach dem nächsten Rohdiamanten flogen Fußball-Scouts einst um den halben Globus. In staubigen Stadien am Rand von Buenos Aires oder auf klapprigen Tribünen im brasilianischen Hinterland spürten sie passende Talente für den eigenen Club auf. Diese romantische Vorstellung passt nicht mehr zur modernen Realität. Anstatt im mit Juli-Beginn wieder geöffneten Transferfenster auf Bauchgefühl und Notizblock zu setzen, verlassen sich die Vereine vor allem auf Daten.

Paul Pajduch verbringt daher mindestens die Hälfte seines Arbeitstages am Laptop, die andere am Handy. „Um mich nach den Spielern zu erkundigen, die zu unserer Spielidee passen könnten. Wir haben mehrere Anbieter, die umfangreiche Informationen zu Tausenden von Spielern liefern“, berichtet der Leiter der Hoffenheimer Scoutingabteilung.

Dazu zählen auch physische Infos. Wie etwa die Anzahl intensiver Läufe, die maximale Geschwindigkeit oder auch die Erfolgsquote im Dribbling oder bei Zweikämpfen. „Diese Informationen bündeln wir in einem eigenen Analysetool. Mithilfe von KI können wir so gezielt Talente identifizieren, die – basierend auf den Daten – gut zu unserer Spielphilosophie passen“, erklärt Pajduch weiter. Ein Spieler, den Hoffenheim auch dank KI-gestützter Datenanalyse verpflichtet hatte, ist Bazoumana Touré. Der Offensivspieler ist seit dem Winter bei der TSG und kam in 13 Spielen auf drei Torvorlagen.

Die KI-Programme durchleuchten Leistungsdaten, analysieren Bewegungsprofile und prognostizieren Entwicklungspotenziale. Gibt ein Club die gesuchten Leistungsindikatoren ein, spuckt das System in Sekundenbruchteilen Vorschläge aus, im Optimalfall das Perfect Match. Quasi wie Tinder für den Transfermarkt.

Die fußballerische Qualität eines Spielers ist aber nur ein Aspekt. Auch sein Persönlichkeitsprofil muss passen. Schließlich ist die Chemie in der Kabine mitentscheidend für den Erfolg auf dem Platz. Das weiß man auch bei Zweitligist 1. FC Nürnberg. „Wir kooperieren mit einem norwegischen Institut, das uns datenbasierte Persönlichkeitsprofile von Spielern zur Verfügung stellen kann“, sagt Sportvorstand Joti Chatzialexiou. Dabei würden unter anderem Inhalte aus Social-Media-Auftritten oder Interviews analysiert.

Anbieter gibt es viele. Mithilfe der App Cuju können sich Talente weltweit bei Übungen filmen. Die KI gibt eine Bewertung ab und erstellt am Ende eine Rangliste. Beim Pilotprojekt in Brasilien nahmen 80 000 Talente teil. Ein Erfolgsbeispiel: Die 14-jährige Marcela Geremias wurde so entdeckt und erhielt einen Jugendakademie-Vertrag beim Club Corinthians São Paulo. Eine andere Plattform ist Scoutastic. Der Anbieter kombiniert Berichte von Vereinen mit Spielerdaten von transfermarkt.de und analysiert diese mit Hilfe von KI.

Roboter-Coach in Norwegen

Der norwegische Club Ham-Kam zeigt, was möglich ist. Bei einem Freundschaftsspiel setzte der Verein einen vollständig von KI gesteuerten Trainer ein. „The Artificial One“ traf eigenständig Entscheidungen zu Taktik, Aufstellung und Auswechslungen, basierend auf Millionen von Datensätzen. Steht also bald ein Roboter an der Seitenlinie?

„Nein“, meint Sportwissenschaftler Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule. Dazu fehlten der KI Unmengen an Daten, die einen Fußballer ausmachten, etwa die Körpersprache. „Aber wir bewegen uns schon jetzt darauf zu, auf den Trainerbänken eine Art Race-Cockpit wie in der Formel 1 zu bekommen, um während des Spiels Simulationen machen zu können. Beispielsweise können Trainerteams die KI dann fragen, was passiert, wenn wir Spieler X für Spieler Y einwechseln.“

DPA

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