Rückkehr an den Höllenberg

von Redaktion

2022 wurde Pogacar in den Pyrenäen vernichtet – Vorteil Vingegaard?

Tadej Pogacar verlor über eine Minute auf der Etappe und musste sich vom Gelben Trikot verabschieden. © Kalut/Imago

Die letzten 3,5 Kilometer nach Hautacam fuhr Jonas Vingegaard 2022 als Solist ins Ziel, der Grundstein für den späteren Gesamtsieg. © Vereecken/Imago

Toulouse – Tadej Pogacar radelte in der Hitze von Toulouse ganz cool zum Etappenstart und scherzte mit den Fans, Jonas Vingegaard kritzelte tiefenentspannt seinen Namen aufs Einschreibebrett: Im Flachland Okzitaniens genossen die beiden Radsport-Giganten am Mittwoch die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Doch auf dem Weg durchs platte Land zeichneten sich schon drohend am Horizont die gewaltigen Bergflanken der Pyrenäen ab. Dort beginnt die heiße Phase der Tour de France – und die beiden Hauptdarsteller brennen darauf.

„Ich bin so froh, dass wir bislang alles überstanden haben – die Etappen waren doch sehr nervös“, sagt Pogacar vor dem ersten Hochgebirgsspektakel am Donnerstag mit der knüppelharten Bergankunft in Hautacam: „Jetzt kommt unser Terrain, und das wird weit weniger stressig für uns.“ Denn: „Meine Hauptrivalen liegen hinter mir, sie müssen attackieren.“

Genau das passierte 2022. Es sind die Erinnerungen an eine denkwürdige Etappe, die Vingegaard träumen und Pogacar zittern lassen. Vor drei Jahren demontierten Vingegaard und Edelhelfer Wout van Aert den Slowenen auf dem Weg nach Hautacam. Der Däne fuhr die letzten 3,5 Kilometer als Solist zum Sieg, nahm seinem ärgsten Rivalen eine Minute ab. Der Grundstein zum Gesamtsieg. Werden am Donnerstag noch mal alte Berggeister hinaufbeschworen?

„Es ist ein gleichmäßiger Anstieg, der nicht besonders heraussticht“, sagt Simon Geschke bei Eurosport: „Aber in der zweiten Woche setzt bereits eine gewisse Müdigkeit ein. Bei den Klassementfahrern werden wir einige Einbrüche erleben.“ 1000 Höhenmeter verteilen sich auf die letzten 13,5 Kilometer, eine durchschnittliche Steigung von 7,8 Prozent. „Ich sehe einen kleinen Vorteil für Jonas, mit langen und gleichmäßigen Anstiegen hat er weniger Probleme“, so Geschke.

Zwar geht Titelverteidiger Pogacar nicht im Gelben Trikot in den Kampf um seinen vierten Toursieg – das trägt der Ire Ben Healy, der aber letztlich chancenlos sein wird. Doch bislang läuft für „Pogi“ alles nach Plan. Anders als für seinen Hauptrivalen. „Wir haben Fehler gemacht“, sagte Vingegaard: „Wir könnten näher dran sein.“ 1:17 Minuten lag der Däne zum Ruhetag hinter dem Slowenen zurück. Viel, zumal noch keine „echte“ Bergetappe in den Büchern ist. Zu viel? Nein – zu viele Faktoren werden in den kommenden anderthalb Wochen den großen Zweikampf entscheidend prägen.

Beide gehören zu den mental stärksten Fahrern im Feld, wissen, wie man am Berg Konkurrenten bricht. Pogacar hat den Vorteil des Gejagten, kann – entgegen seinem Naturell – abwarten. Vingegaard sagt derweil: „Ich glaube an mich und daran, dass wir in der dritten Woche den Unterschied machen können.“ Der Konkurrent entgegnet: „In Hautacam will ich zunächst Gelb zurück.“

Hautacam hat sich eingebrannt ins Radsportgedächtnis. „Dieser psychologische Vorteil, den Vingegaard durch die positiven Erinnerungen hat, könnte etwas bewirken“, sagt Eurosport-Kommentator Karsten Migels.

Gut für Pogacar, dass sein Sturz beim Etappenfinale gestern glimpflich verlief: Die Favoriten zogen nicht das Tempo an, der Slowene konnte mit ein paar Kratzern wieder aufschließen und verlor keine Zeit.

Artikel 8 von 11