Musste den Hut nehmen: John Textor. © IMAGO/FEP
Gibt in Lyon ab sofort die Richtung vor: Die Business-Frau Michele Kang. © JEGAT/imago,
Auf die Barrikaden: Ende Juni protestierten die Fans gegen Club-Eigentümer John Textor, der daraufhin als Präsident zurücktrat. © Pachoud/AFP
München – Am 2. August (15.30 Uhr) empfängt der FC Bayern in der Saisonvorbereitung den französischen Erstligisten Olympique Lyon zu einem Testspiel in der Allianz Arena. Für den Rekordmeister wohl keine große Sache – für „OL“ allerdings durchaus. Der Traditionsclub wendete in der Vorwoche erst in letzter Minute den Zwangsabstieg in die 2. Liga ab. Dank einer Frau, die bis vor ein paar Jahren vermutlich nicht einmal wusste, dass man Fußball auf zwei Tore spielt …
Ganz in Weiß gekleidet, trat Michele Kang am Tag der Auferstehung vor die Presse. Die Anspannung war ihr deutlich anzusehen – die Erleichterung ebenso. „Ich freue mich unglaublich, Ihnen die bestmöglichen Neuigkeiten für unseren Verein mitteilen zu können“, verkündete die 66-Jährige mit ruhiger Stimme die frohe Botschaft, die im Kern lautete: Olympique Lyon spielt auch in der kommenden Saison in der französischen Ligue 1.
Der frühere Serienmeister hatte mit einem Einspruch gegen den Zwangsabstieg bei der Nationalen Kontroll- und Verwaltungsdirektion (DNCG) tatsächlich Erfolg. Die neuen Clubchefs Kang und Michael Gerlinger (früher Chef-Justiziar beim FC Bayern) hätten die französische Fußball-Finanzaufsicht davon überzeugt, dass der Verein (doch) genug Geld für die Saison 2025/26 habe, teilte der Verein mit. Der Klassenerhalt ist allerdings an Bedingungen geknüpft: In Zukunft muss „OL“ Gehälter und Transferausgaben streng begrenzen. Alles natürlich unter den wachsamen Augen von „Retterin“ Michele Kang. Michel … wer?
Geboren 1959 in Südkorea, studierte Kang in den USA, ehe sie 2008 das Gesundheits-IT-Unternehmen Cognosante gründete – und es im Vorjahr wieder verkaufte. Das US-Magazin „Forbes“ schätzt ihr Vermögen auf 1,2 Milliarden Dollar. Zum Fußball kam sie, wie sie selbst einmal zugab, eher „zufällig“. Erst 2021 erlebte sie beim Frauenverein Washington Spirit ihr erstes Spiel überhaupt in einem Stadion. Fortan war sie „hypnotisiert“. Und kaufte den Club dann einfach. Seitdem – und das wird Olympique-Fans nicht gefallen – macht sich Kang im Frauenfußball mit einem ambitionierten Multi-Club-Ownership-Modell einen Namen. „Ich möchte mindestens ein Team auf jedem Kontinent“, sagt die wohlhabende Asiatin, die sich selbst auf einer Mission sieht. „Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht zu beweisen, dass Frauensport ein gutes Geschäft ist.“ Ihre Investitionen in den Sport vergleicht sie mit jenen im Silicon Valley: wachstums- und risikoorientiert.
Also legte Kang nach: Sie übernahm die London City Lionesses und beteiligte sich auch an der Frauenmannschaft von Olympique Lyon, die sie kürzlich in OL Lyonnes umbenannte. 2024 erwarb sie die vollständige Kontrolle. Alle drei Teams firmieren heute unter dem Dach von Kynisca Sports International, einer von Kang gegründeten Holding. Im Quervergleich zum bei den Anhängern ungeliebten und vom Hof gejagten John Textor entbehrt es nun aber nicht einer gewissen Ironie, dass in Kang nun ausgerechnet eine Person zur Retterin wurde, die ein ähnliches Modell wie ihr Vorgänger fährt. Jenem US-Investor, der bei den Fans inzwischen als Symbol für Chaos und Missmanagement gilt. Textor hält mit seiner Eagle Football Holding seit Sommer 2022 die Mehrheit an Lyon und besitzt außerdem auch Anteile an anderen Proficlubs wie Botafogo in Brasilien, RWD Molenbeek (umbenannt in Brussels) in Belgien und Crystal Palace in England.
Da kann man schon mal durcheinanderkommen. Denn dass sich Kang überhaupt erst um die Rettung Lyons verdient machen durfte, hatte die Vorgängerführung um Hauptanteilseigner Textor mitzuverantworten. Schon Ende 2024 war Lyon wegen einer 200 Millionen Euro großen Finanzierungslücke und seines enormen Schuldenbergs (angeblich rund 500 Millionen Euro) zunächst auf Bewährung zum Abstieg verurteilt worden. Ende Juni folgte dann die Vollstreckung – begleitet von heftigen Fanprotesten gegen Textor, der schließlich hinschmiss. Kang übernahm daraufhin den Vorsitz des Gesamtvereins und wurde auch zur Geschäftsführerin der Eagle Football Holding, unter deren Dach „OL“ organisiert ist. Nachdem ein erster Versuch Textors, das Zwangsabstiegs-Urteil der Behörde aufzuheben, gescheitert war, gelang ihr nun die Wende.
Jetzt hoffen die Fans, dass sie den Club langfristig stabiler und nachhaltiger führt als ihr Vorgänger. Erster Zwischenstopp auf dem Weg dahin: München. Allianz Arena. JOHANNES OHR