Alle Tugenden einer Mittelstürmerin: Giovanna Hoffmann im Viertelfinale gegen Frankreich. © IMAGO
Giovanna Hoffmann hat sich in der deutschen Frauen-Nationalmannschaft vor dem Halbfinale gegen Spanien (Mittwoch 21 Uhr/ARD) überraschend einen Platz in der Startelf erkämpft. Für Bundestrainer Christian Wück verkörpert die 26-Jährige von RB Leipzig alle Tugenden, die eine Mittelstürmerin benötigt. Vor ihrem zwölften Länderspiel spricht die gebürtige Bremerhavenerin über ihren langen Weg ins Rampenlicht.
Sie haben als Kind beim Training in Bremen am Zaun gestanden, um Diego und Miroslav Klose zuzusehen. Hätten Sie sich träumen lassen, auch mal Nationalspielerin zu werden?
Am Anfang ist man eine Träumerin. Ich wusste damals gar nicht, was es heißt, dorthin zu kommen. Ich wusste nicht, dass es Jugend-Nationalmannschaften gibt und dass man in der Bundesliga spielen kann. Ich wollte als Kind einfach jeden Tag Fußball spielen. Dass ich beim TSV Imsum begonnen habe, war eigentlich Zufall. Ich war nachmittags bei einem Freund aus der Grundschule zum Fußballspielen verabredet, als seine Mama gesagt hatte, dass er eigentlich Training hat – und dann bin ich mit neun Jahren einfach mitgegangen.
Sie galten in der Jugend als extrem ehrgeizig.
Früher konnte ich auch nie verlieren, war wütend und habe geweint. Ich war damals mal in einem Fußball-Camp, und da gab es einen Wettbewerb, wer den Ball am längsten hochhalten konnte. Gewonnen hat ein Junge. Das war für mich das Ende der Welt, obwohl er sechs Jahre älter war (lacht).
Jetzt sind Sie Mittelstürmerin der Nationalmannschaft.
Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, bei der EM zu spielen. Ich kannte meine Rolle. Das Spiel hat bewiesen, dass alles, was wir vorher gesagt haben, nicht nur Phrasen waren, dass jede Spielerin gebraucht wird. Vor einer Franziska Kett ziehen ich alle Hüte, dass sie so eine Leistung bringt. Oder was Sophia Kleinherne abgerissen hat, die nach wenigen Minuten reinkam.
Was haben Sie nach der Roten Karte gegen Kathrin Hendrich gedacht?
Es gab schon Momente, in denen ich durchgeatmet und gedacht habe: ‚Das kann doch nicht wahr sein.‘ Aber wir sind im Kreis zusammengekommen und haben besprochen, wie wir taktisch weiterspielen. Dann haben wir uns in die Augen geguckt und gesagt: ,Egal, was heute passiert: Wir schaffen das.‘ Und das haben wir uns auch noch oft im Spiel gesagt.
Können Sie nach so einem Spiel eigentlich schlafen?
Nein. Das ging nicht in dieser Nacht. Irgendwann ging die Sonne auf, und ich hatte immer noch kein Auge zugemacht. Ich hatte so viel Adrenalin im Körper. Das ging vielen von uns so. Es war das anstrengendste Spiel meiner Karriere. Mit Abstand. Man geht dann am nächsten Morgen zum Frühstück, zum Physio und dann wieder ins Bett. Schlaf ist das Wichtigste für die Regeneration.
Es gibt ein Bild von Ihnen nach dem Elfmeterschießen, wie sie mit ausgebreiteten Armen auf dem Rasen knien. Sie sind sehr gläubig.
Für mich war das ein sehr persönlicher Moment, dass wir nicht nur ein Fußballspiel gewonnen habe. Mit Gott zu leben, bedeutet jeden Tag der Wegstrecke gemeinsam zu erleben. Wenn man ein so großes Geschenk bekommt, nämlich in solch einem Spiel mit einem so positiven Ausgang spielen zu dürfen: Dafür bin ich vor Dankbarkeit auf die Knie gegangen. Das Bild spricht für sich.
Haben Sie die Bibel im Reisegepäck?
Ja, die habe ich dabei und lese darin. Für mich bedeutet gläubig zu sein, das zu glauben, was in der Bibel steht. Ich habe die Entscheidung getroffen, dass das zu meinem Leben gehören soll, dass das mein Leben ist.
Hätten Sie sonst mit Fußball schon aufgehört?
Die Wahrscheinlichkeit ist groß. Für mich war in Stein gemeißelt, bei der nächsten schweren Verletzung aufzuhören. Als ich mir nach meinem Wechsel von Bremen zum SC Freiburg im Oktober 2020 einen Kreuzbandriss zugezogen habe, wusste ich nicht, ob ich weiter spielen soll. Ich habe gebetet und die Bibel aufgeschlagen: Ich bekam eine klare Wegweisung, dass ich weitermachen soll. Sonst wäre ich heute nicht hier.
Für Sie war es ein langer Weg in die Nationalelf.
Ich spiele seit 2016/2017 in der Bundesliga. Ich hatte die Nationalmannschaft nicht mehr auf den Zettel. Für mich ging es darum, wieder Freude am Fußball zu haben und konstant zu spielen.
Wie sieht es mit Ihrem Studium aus?
Ich habe von 2016 bis zum ersten Staatsexamen 2021 Jura studiert. Mir fehlt für das zweite Staatsexamen noch das Referendariat. Aber durch den Fußball ist das aktuell nicht möglich. Deshalb habe ich das ein bisschen auf Pause gelegt. In meiner Zeit beim SC Freiburg habe ich dort an der Universität gearbeitet am Lehrstuhl für Strafrecht. Seit ich in Leipzig bin, habe ich keine Nebentätigkeit mehr. Aber irgendwann werde ich hoffentlich noch mein Referendariat machen. Ich war mir bisher immer sicher, dass ich Richterin oder Staatsanwältin werden wollte. Das ist der Wunsch, aber mal sehen, was in der juristischen Welt noch passiert.
INTERVIEW: FRANK HELLMANN