„Man bekommt viele Rempler ab“

von Redaktion

Etappensiegerin Bauernfeind über das hektische Feld bei der Tour de Femmes

Bauernfeind gewann 2023 eine Etappe. © IMAGO/Mill

Sturz kurz vor dem Sprintfinale der dritten Etappe: Auch Mitfavoritin Demi Vollering war involviert. © Sportschau

Faszination Tour de France: Ricarda Bauernfeind hat es nach zwei Knie-Operationen zurück geschafft und will sich im umkämpften Feld behaupten. © IMAGO/Gomez

Die Beine waren noch nicht einmal gelockert, da telefonierte die deutsche Tour-de-France-Heldin Ricarda Bauernfeind schon mit unserer Zeitung. Sie wartete nach der vierten Etappe am Dienstagabend auf ihren Massage-Termin, als die 25-jährige Tour-Comebackerin im Interview über das hektische Peloton, die terminliche Überschneidung mit dem Tour-Finale der Männer und das Leistungsniveau bei den Frauen sprach. Tags darauf, bei der fünften Etappe, wurde Bauernfeind 52. (der Tagessieg ging an Kim Le Court Pienaar). Nach einem Seuchenjahr mit zwei Knie-Operationen und fast einem Jahr Rennpause ist Bauernfeind nun als Edelhelferin für Vorjahressiegerin Katarzyna Niewiadoma-Phinney (Canyon-Sram) vorgesehen.

Frau Bauernfeind, wie rollt es sich bei Ihrem Lieblingsrennen im Peloton?

Es ist super anstrengend und hektisch. Das Rennen ist einfach von der neutralen Phase an vollgas. Es wird um jede Position gekämpft, jede will vorne sein. Es ist einfach super nervös und hektisch. Die ersten Etappen waren jetzt flach mit teilweise schmalen Straßen. Und bei 150 Starterinnen ist das dann nochmal schwieriger. Aber toi, toi, toi, bis jetzt sind wir einigermaßen glimpflich davon gekommen.

Im Vergleich zu Ihrer ersten Tour de Femmes. Wie hat sich das Leistungsniveau entwickelt?

Das Niveau ist richtig gestiegen. Wenn ich meine Watt-Werte anschaue, die ich jetzt trete und die ich 2023 bei der Tour getreten habe – die sind genau gleich, wenn nicht sogar besser. Aber die Platzierung ist einfach schlechter. Man ist halt dann nur noch im Feld und nicht mehr ganz vorne.

Das Feld rückt also näher zusammen. Und wie Sie angesprochen haben, wird es immer hektischer. Nun hat sich der FDJ-Teamchef von Mitfavoritin Demi Vollering über fehlenden Respekt vor den Favoritinnen, dem Gelben Trikot oder den Sprinterinnen geäußert. Wie nehmen Sie das war?

Wir haben das auch im Team angesprochen. Das Team FDJ kämpft genauso um Positionen. Man bekommt auch von denen einen Rempler ab. Generell sind die Plätze mehr umkämpft. Das hat aber nichts mit wenig Respekt zu tun, man fährt ja nicht extra einen Fehler, um einen Sturz zu verursachen.

Trotzdem kommt es zu mehreren Stürzen. Gehen die Fahrerinnen zu viel Risiko ein?

Das Problem ist, das macht halt jede. Und wenn man das Risiko nicht eingeht, dann hat man einfach absolut gar keine Chance, irgendwie im Feld nach vorne zu kommen. Daher machen das alle Teams so, es ist einfach ein größerer Fight.

Wenn die Frauen stürzen, hört man schnell das Vorurteil, dass Frauen kein Rad fahren können.

Bei den Männern gibt es genauso Stürze. Ich glaube, das liegt halt auch daran, dass die Rennen immer schneller werden.

Aber die Männer werden dafür fast schon gefeiert. Haben Sie das Gefühl, dass es hier eine Zweiklassengesellschaft gibt?

Bei uns kommt es eigentlich nicht so rüber. Wir haben jetzt bei der Tour, Gott sei dank, noch nicht diese Stürze gehabt, wo eine ganze Seite offen ist. Daher entstehen nicht diese heldenhaften Bilder. Klar, sagen viele, dass Frauen nicht Radfahren können. Aber das kommt eher von Außenstehenden.

Das muss doch nerven?

Ja, man bekommt das mit – auch von den Medien. Man hat es ja bei den Männer gesehen, als Pogacar nach der 20. Etappe gefragt wurde, ob er keine Lust habe oder müde sei. Als wir dieses Video angeschaut haben, dachten wir uns: Die sollten auch mal des Hirn anschalten.

Die ersten beiden Etappen überschnitten sich mit dem Tour-Finale der Männer. Wirft das ein besonderes Licht auf den Frauen-Radsport – oder waren Sie da eher im Schatten?

Nein, im Schatten waren wir auf keinen Fall. Klar, wir sind an einem Tag relativ spät gestartet, am anderen recht früh. Aber ich glaube, das ist ein guter Übergang. Ich kenne die Einschaltquoten nicht. Aber es war so viel los an den Strecken – sowohl am Samstag als auch am Sonntag. Es war der Wahnsinn. Viel mehr können wir uns gar nicht wünschen.

Aber es gibt da doch etwas?

Es wäre cool, wenn wir irgendwann auch in Paris finishen können. Das Finish auf der Champs-Élysées ist einfach nochmal etwas ganz Spezielles. Wenn es das auch mal für Frauen geben würde, wäre das nochmal einzigartiger. Oder eine Etappe am gleichen Ort.

Ist die Stimmung mit einem anderen Rennen vergleichbar?

Eventuell mal an den Königsetappen. Aber hier sind auch nach der Startetappe noch so viele Leute an den Anstiegen oder in den Ortschaften. Man ist das so gar nicht gewohnt. Aber das ist halt die Tour.

Jetzt geht‘s in Ihr Terrain. Freust du dich auf die Berge oder geht jetzt die Leidenszeit erst richtig los?

Beides (lacht). Also jetzt geht die Leidenszeit los. Ich hoffe, dass ich da dann noch mehr für das Team machen kann – Kasia (Niewiadoma-Phinney, d. Red.) noch mehr unterstützen kann, ins Gelbe Trikot zu schlüpfen.

Und selbst? Sie waren auf bestem Weg zu einer starken Klassement-Fahrerin.

Langfristig bin und bleibe ich Gesamtklassement-Fahrerin. Aber mir fehlt ein ganzes Jahr Rennbelastung. Das kann man im Training nicht simulieren und hat mir auf den ersten Etappen wirklich Schwierigkeiten bereitet – diese Rhythmuswechsel.

Werden wir wie vor zwei Jahren bei Ihrem Etappensieg noch eine Attacke Ihrerseits sehen?

Ich glaube, so weit bin ich noch nicht. Ich weiß nicht, ob da etwas geplant ist. Aber man weiß nie, was die Rennsituation hergibt.

INTERVIEW: ALEXANDER VORMSTEIN

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