Jost Kobusch polarisiert in der Bergsteigerszene. Als erster Mensch will der 32-Jährige den Mount Everest im Winter besteigen. Bei seiner letzten Expedition schaffte er es auf über 7500 Meter und stellte einen neuen Rekord auf. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Kobusch über die Faszination des Extremen, den Umgang mit dem Tod und was die Familie denkt.
Jost Kobusch, wie haben Sie davon erfahren, dass Laura Dahlmeier in den Bergen verunglückt ist?
Ich habe einen Anruf von der RTL-Sportredaktion erhalten, ob ich einen Kommentar zu Lauras Unfall abgeben kann. Ich dachte mir: Was? Laura? Das war ein riesiger Schock. Ich schätze Laura als sehr vorsichtig ein. Sie ist die letzte Person, bei der ich dachte, dass da irgendwas passieren kann. Letztes Jahr haben wir uns in Kathmandu knapp verpasst. Laura hat, wie ich, sehr intensiv mit dem Fotografen Daniel Hug zusammengearbeitet. Ich war immer wieder mal im Austausch mit ihr. Wir waren noch nicht zusammen in den Bergen unterwegs, früher oder später wäre das aber bestimmt passiert.
Waren Sie schon auf dem Laila Peak?
Es ist ein wunderschöner Berg, er stand lange auch auf meiner Liste. Der Laila Peak ist die romantische Verkörperung eines Berges. Ich habe mit einem polnischen Alpinisten aus unserem Team über die Begebenheiten in Pakistan telefoniert. Es gab Regen auf bis zu 6000 Metern Höhe, die Bedingungen sahen echt nicht gut aus.
Die Frage, die sich viele stellen: Warum zieht es Extrembergsteiger wie Sie immer auf riskante Gipfel, an Orte, die gefährlich sind.
Unser Leben ist heutzutage so komfortabel wie nie zuvor. Für mich geht es um den Schritt zurück in die Wildnis. Es geht auch um die Kunst des Überlebens. Wir begeben uns ganz bewusst in Gefahr. Aber eben, um diese Gefahr zu überleben. Dazu gehören Fähigkeiten, die ich mir über Jahre antrainiert habe. Wenn ich im Winter in Alaska unterwegs bin, völlig abgeschieden von der Zivilisation, baue ich auf diese Fähigkeiten, die mich am Leben halten. Da draußen hast du eine unglaublich tiefe Verbindung zur Natur und dir selbst. Nirgendwo sonst spürt man das auf diese Weise. Diese Intensität entsteht natürlich auch dadurch, dass es echte Konsequenzen gibt. Sonst könnte man ja auch irgendwo Treppen hochsteigen. Ich mache das nicht, weil ich lebensmüde bin. Sondern, weil ich total gierig auf ein gut gelebtes Leben bin. Ich suche die Intensität.
Die Gefahr ist Ihnen bewusst. Sie selbst teilen Ihre Expeditionen immer in verschiedene Gefahrenzonen ein.
Absolut. In der roten Gefahrenzone hast du Angst. Die Angst erzeugt Fokus, sie schärft alle Sinne. Ich muss aber auch sagen: Je länger ich dabei bin, desto weniger Angst habe ich. Weil es auch ein Stück weit normal geworden ist. Dann gehe ich halt wieder zum Everest im Winter. Jeder sagt: Das ist voll verrückt. Aber für mich fühlt sich das an, als würde ich zum Mont Blanc gehen, nur eben mit schlechten Bedingungen. Wenn diese Gedanken, wenn eine Normalität eintritt, muss man aufpassen. Ich rufe mir immer wieder mögliche Konsequenzen und Gefahren in den Kopf. Was passiert, wenn ich beim Abklettern in einen Sekundenschlaf gerate, weil ich schon lange unterwegs bin. Wie sieht das aus, wenn ich jetzt abstürze, aufpralle und mir alles breche? Das erzeugt wieder den Fokus.
Sie hatten eine Nahtoderfahrung, haben eine Lawine am Everest überlebt. Kam da nicht der Gedanke: Dahin will ich nicht mehr zurück.
Diese Momente sind weniger geworden. Am Anfang hat sich mir manchmal der Magen vor Angst verdreht. Mit mehreren Anläufen habe ich es geschafft, eine bessere Linie zu finden. Die beeinflussbaren Risiken besser zu minimieren. Ich bin komfortabler bei den Projekten unterwegs, diese Entspanntheit bringt auch mehr Leistungspotenzial. Beim letzten Mal bin ich innerhalb von sechs Tagen auf Rekordhöhe gekommen. Davor habe ich das innerhalb von Monaten nicht geschafft.
Wie steht Ihre Familie zu Ihren Alpin-Projekten?
Sie sind entspannter geworden, weil ich es schon so lange mache. Ich hatte im Juli mein zehnjähriges Jubiläum als Profi. Aber klar: Gestern hat mich mein Vater angerufen. Und er ruft nur sehr selten bei mir an. Er hat natürlich auch die Nachrichten um Laura Dahlmeier verfolgt. Mein Vater hat gesagt: Sorg ja dafür, dass du nicht so in den Nachrichten landest. Ich war vorgestern in einer Felsroute am Mont-Blanc-Massiv. Oben war es ziemlich vereist. Das Risiko bin ich nicht eingegangen und umgedreht. Das ist auch die Kunst. Als Profi kannst du das halt machen. Ich wohne in den Bergen und kann einen neuen Anlauf unternehmen. Ich musste nicht bei meinem Chef Urlaub einreichen.
Der Tod ist im Extremsport, besonders im Alpinklettern, präsent. Wie gehen Sie damit um?
Uff, das ist oft schon richtig hart. Im Durchschnitt stirbt ein Kollege pro Jahr. Irgendwie gehört es dazu, so traurig es ist. Es gibt einen Nepalesen, der seit 2015 jede Expedition von mir begleitet hat. Er ist bei einer Lawine umgekommen. Plötzlich ist dieser Mensch nicht mehr da. Wie soll man das verstehen? Ich habe „On Grief and Grieving“ von Elisabeth Kübler-Ross (Psychiaterin und Sterbeforscherin, 2004 verstorben, Anm. d. Red.) gelesen. Ich habe mich systematisch mit Trauerprozessen auseinandergesetzt. Die erste Stufe ist oft Verweigerung. Das ging mir auch jetzt bei Laura wieder so. Ich bekomme den Anruf über den Unfall. Zunächst denkst du: Vielleicht ist es eine Fehlinformation, und wenn nicht, wird sie bestimmt gerettet. Irgendwann kommt dann die Realisation. Du kannst den Tod nicht verdrängen. Du musst ihn verarbeiten.
NICO-MARIUS SCHMITZ