Deniz Undav (li.) wurde unter Trainer Sebastian Hoeneß (re.) zum Nationalspieler. © Langer/dpa
VfB-Vorstandsvorsitzender Alexander Wehrle im Gespräch mit Redakteurin Hanna Raif.
Objekt der Begierde: Die Bayern wollen Stuttgarts Stürmer Nick Woltemade – doch über die Ablösesumme wird noch gefeilscht. © IMAGO/Becker
Die Bayern wollen Nick Woltemade (23) und der will auch nach München. Aber der VfB Stuttgart will ihn nicht gehen lassen – eigentlich. Darüber und über die neue Stärke der Schwaben hat unsere Zeitung mit dem Vorstandsvorsitzenden Alexander Wehrle (50) während des VfB-Trainingslagers am Tegernsee gesprochen.
Herr Wehrle, wie fühlt sich die Vorbereitung als Pokalsieger an? Ist die Brust breiter?
Wir nehmen die positive Energie des Titels – dem ersten Pokalsieg nach 28 Jahren – mit. Man merkt den Jungs das Selbstvertrauen an. Vor zwei Wochen hatte der Film „VfB inTeam“ Premiere, Schwerpunkt war der Pokalsieg. Diese 90 Minuten waren sehr emotional für uns alle – und haben noch mal Lust auf mehr freigesetzt. Jeder weiß hier: es lohnt sich, Fußball zu spielen.
Trotzdem sagten Sie zuletzt, es brauche „Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, um die Lücke zu Bayern zu schließen.“
Wir müssen auf uns schauen – und wir sind Realisten. Wenn wir gute Arbeit leisten, sind wir in der Lage, in den nächsten Jahren wettbewerbsfähig zu sein und immer mal wieder europäisch spielen. Dass Bayern in einer ganz anderen Liga unterwegs ist, steht aber außer Frage. Da geht es um Eigenkapital, Umsatz, Marktwerte, Erlöse. Gerade in der internationalen Vermarktung sind Galaxien zwischen uns. Aber es ist auch nicht unser Ziel, Bayern zu verdrängen. Wir wollen den Abstand kontinuierlich verringern. Und das dauert eher Jahrzehnte als Jahre.
Es gibt aber auch eine Gruppe hinter den Bayern.
Dortmund, Leipzig, Leverkusen, auch Frankfurt haben mehr Mittel zur Verfügung als wir. Und ja, es gibt eine Korrelation zwischen finanzieller Stärke und sportlichem Erfolg. Dennoch haben wir bewiesen, dass auch wir mit weniger Mitteln Erfolge und Titel feiern können. Wenn sich ein Team zusammen kontinuierlich entwickelt, kann daraus Großes entstehen. Das ist unser Ansatz.
Wie wird denn der neue, ruhige VfB inzwischen wahrgenommen: Traut man dem „Frieden“?
Wir haben letztes Jahr über 150 000 Trikots abgesetzt – fast doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. Es ist eine Euphorie da, die wir nicht bremsen wollen. Deswegen haben wir auch eine große Verantwortung: eine Mannschaft aufzustellen, die nächstes Jahr erfolgreich Fußball spielt.
Wäre der Gewinn des Supercups der nächste Schritt?
Für uns ist der Supercup ein besonderes Spiel, weil es das erste Pflichtspiel der Saison ist und wir letztes Jahr unglücklich im Elfmeterschießen gegen Leverkusen verloren haben. Jetzt, zuhause gegen den unangefochtenen Branchenprimus und vor ausverkauftem Haus, werden wir ein intensives Fußballspiel erleben. Alles weiter wird man sehen.
Kann es von Vorteil sein, dass dieser Titel in Stuttgart als „Mission“ angesehen wird – und man ihn in München schon oft gewonnen hat?
Auch die Bayern würden den Titel gerne mitnehmen, da machen wir uns nichts vor. Genauso machen wir uns auch nichts vor, dass die Bayern der Favorit sind – kürzere Vorbereitungszeit hin oder her. Das ändert aber nichts daran, dass wir diesen Titel gerne hätten. Wie es sich anfühlt, den Supercup zu verlieren, kennen wir aus dem letzten Jahr. Das brauchen wir nicht nochmal.
Was passiert denn, wenn Nick Woltemade in diesem Spiel ein Tor schießt?
Dann freuen wir uns! Idealerweise ist es das entscheidende Tor. Und wir freuen uns übrigens auch, dass Nick nächste Saison mit uns Fußball spielen wird.
Hat das Duell für Sie noch mehr Brisanz, weil diese Causa seit Wochen die Schlagzeilen beherrscht?
Da wird natürlich von außen extrem viel reininterpretiert. Ich bleibe bei dem, was ich vor fünf Wochen gesagt habe: Wir wollen mit Nick in die nächste Saison gehen – und wenn etwas Außergewöhnliches passiert, sind wir bereit, uns an einen Tisch zu setzen. Daran hat sich nichts geändert. Außer der Tatsache, dass am 16. August das erste Pflichtspiel stattfindet – und wir dann eine Mannschaft zusammen haben wollen, mit der wir in die nächste Saison gehen.
Das klingt nach Deadline.
Das haben Sie jetzt gesagt.
Wurde das Wort außergewöhnlich intern definiert?
Nicht final. Weil wir ihn nicht abgeben möchten.
Jan-Christian Dreesen sagte am Mittwoch: „Bei den Fronten würde ich nicht von verhärtet sprechen.“ Sehen Sie das ähnlich?
Ja. Ich habe persönlich ein sehr gutes Verhältnis zu Jan-Christian Dreesen, mit dem ich lange im DFL-Präsidium gearbeitet habe. Unsere Gespräche waren immer von gegenseitiger Wertschätzung und Transparenz geprägt. Alles, was von außen herangetragen wird, gehört zu unserem Business dazu. Aber für mich zählt, was Jan zu mir sagt. Und bei ihm ist’s genauso.
Nervt das Drumherum? Oder amüsiert es vielleicht sogar?
Es ist Teil des Geschäfts. Wissen Sie, diese Woche habe ich gehört, dass ich mit Bayern verhandle, weil ein Auto mit Münchner Kennzeichen vor der VfB-Geschäftsstelle stand. Wie viele Einwohner hat München nochmal?! Teilweise ist es schon abenteuerlich, was da rein interpretiert wird.
Also: Kein neues Angebot, kein Gespräch?
Genau. Der Sachstand hat sich nicht verändert.
Gibt es ein Gefühl der Stärke, wenn man einen Bundesliga-Rekordtransfer einfach ablehnen kann?
Unser übergeordnetes Ziel ist es, eine erfolgreiche Saison zu spielen. Da ist Nick ein ganz wichtiger Spieler – und er hat noch drei Jahre Vertrag. Wir müssen uns mit Angeboten nicht beschäftigen, denn wir haben zu keinem Zeitpunkt signalisiert, ihn verkaufen zu wollen. Bayern München möchte Jamal Musiala ja auch nicht verkaufen.
Wie geht man mit einem Spieler um, der woanders spielen möchte?
Da sind wir alle Profis genug. Und ich bin mir sicher, dass auch Nick im kommenden Jahr im VfB-Trikot brennen wird. Auch ich habe zuletzt ein gutes Gespräch mit ihm geführt. Genauso wie die Mitspieler, die sich allesamt freuen, dass Nick bei uns ist – das haben sie auch schon oft kommuniziert. Weil er ein wertvoller Spieler auf dem Platz ist, aber auch als Typ für das Innenleben. Ein intelligenter junger Mann mit guten Ansichten zum Leben. Und er hat seine ganze Karriere noch vor sich.
Wann greifen Sie als CEO denn normalerweise in einen Transfer ein?
Das ist ganz unterschiedlich und hängt von den Konstellationen und den jeweiligen Fällen ab. Wir haben einen Sportvorstand und einen Sportdirektor, die die operative Arbeit leisten. Aber wir stimmen uns immer ab. Manchmal wird es komplizierter, manchmal kennt der eine einen anderen besser. Wir machen das aber alles in enger Abstimmung. Bei uns gibt es keine Alleingänge.
In München geht es da oft um die Rollenverteilung. Wer in einer Mail in CC steht, wird öffentlich debattiert. Nimmt man so ein Detail als Gegenüber überhaupt wahr?
Ich hab’s gelesen – aber ich hab’s nicht verstanden. Denn das ist ja nichts Unübliches, ein völlig normaler Vorgang. Wenn ich mit Jan-Christian Dreesen telefoniere und danach eine Mail bekomme, in der die Kollegen in CC stehen, ist das ein vollkommen transparenter Vorgang.
Stichwort: mögliche Neuzugänge. Zieht der VfB auch aufgrund von Sebastian Hoeneß besonders?
Es ist hier generell mehr Substanz vorhanden als noch vor ein paar Jahren. Und der Trainer ist ein wesentlicher Faktor für unsere Entwicklung – auch für Neuverpflichtungen. Viele kommen, weil sie sagen: Unter Sebastian Hoeneß haben sich so viele Spieler schon so gut entwickelt – das will ich auch. Wir hatten im letzten Jahr sieben Nationalspieler!
Was ist sein bisher größter Verdienst?
Eine Mischung aus allem. Er ist ein herausragender Fußballlehrer, der eine klare Philosophie hat, aber den Jungs Interpretationsspielraum lässt. Außerdem hat er ein gutes Gespür für den Umgang mit den Spielern. Ich sag’s mal so: Er versteht die Schwaben (lacht). Und die Schwaben ihn.
INTERVIEW: HANNA RAIF