„Den machen nicht viele“: Werner über Niederlechners Lupfer ins Glück. © IMAGO
Bewerbung für einen Fairplay-Preis: Kevin Volland blieb nach diesem Foul nicht reklamierend liegen, sondern rappelte sich auf, spielte weiter – und ersparte so Gegenspieler Tobias Kraulich einen Platzverweis. © IMAGO
München – Am Ende gab es noch eine freundschaftliche Umarmung, und Christian Werner war der Mann, der eindeutig mehr strahlte bei dieser Szene. 1:1 zum Auftakt bei Rot-Weiss Essen, bei einem Gegner, den Marc-Nicolai Pfeifer zu einem Drittliga-Spitzenteam geformt hat. Werner verneigte sich vor der Leistung seines ehemaligen Geschäftsführer-Kollegen: „Respekt vor seiner außergewöhnlichen Arbeit!“ Vor allem aber war Werner „stolz und zufrieden“, wie sich seine eigene Mannschaft bei der Pflichtspiel-Feuertaufe geschlagen hat. Sechs Neue in der Startelf, früher Rückstand durch Rios Alonso (Werner: „Ein bisschen dumm“), doch 1860 knickte nicht ein – einer der Gründe, warum Pfeifer bei der Abschiedsumarmung eher gequält lächelte.
„Das muss man maximal realistisch sehen“, fasste Werner die 90+7 Minuten zusammen: „Als Start war das wirklich okay. Hier werden nicht viele Mannschaften Punkte holen. Man hat gesehen, welche Power die Hafenstraße hat, aber wir sind auf einem guten Weg, gerade was die Mentalität betrifft.“ Zu keinem Zeitpunkt habe er einen Fehlstart befürchtet. Was ihm Mut machte nach verhaltener erster Halbzeit? „Ich kenne die Mannschaft, ich kenne die Spieler“, sagte Werner. Und manchmal, meinte er, reiche einem Qualitätsspieler eben auch „eine halbe Chance“, um einem ganzen Team den Abend zu retten.
Gemeint: Florian Niederlechner, der gefühlt aus dem Nichts einen weiten Schlag von Sean Dulic ins Essener Tor löffelte (68.). „Der Flo macht das Tor überragend“, schwärmte Werner: „So was schaffen in der Liga nicht viele. Da sieht man, wie schnell er immer noch ist.“ Niederlechner (34) selbst schilderte seine Gedanken so, als er plötzlich frei vor RWE-Keeper Wienand auftauchte: „Zum Glück konnte ich nicht lange überlegen. Ich hatte Angst, dass der Ball noch auftitscht und an die Latte geht.“ Eine mögliche Abseitsstellung, die Essen vehement reklamierte, hat Niederlechner nicht wahrgenommen. „Der Rechtsverteidiger hat das Abseits aufgelöst“, legte er sich fest, obwohl selbst die TV-Bilder keinen eindeutigen Befund lieferten.
Essen sah‘s anders. Groß beschweren wollte sich aber keiner aufseiten der Gastgeber, denn jeder wusste: Es gab auch eine Szene, bei der RWE richtig viel Glück hatte, das Spiel mit elf Mann fortsetzen zu dürfen. Die 51. Minute: Tobias Kraulich grätscht Kevin Volland um, doch der Löwen-Stürmer bleibt nicht reklamierend liegen, sondern rappelt sich auf, um statt eines Platzverweises eine mögliche Großchance zu kreieren. „Herausragend von ihm“, schwärmte selbst Uwe Koschinat, der Trainer des Gegners: „Er hat in dieser Szene nicht nur Fairplay walten lassen – es war ja faktisch ein Foul. Er hat die größere Chance gesehen, zum Tor zu gehen. Hier müssen wir ehrlicherweise sagen, dass wir Glück hatten.“
So kam es, dass am Ende doch alle über die beiden 1860-Promis sprachen, die bis zum Halbzeitpfiff wenig Freiraum hatten, um ihre individuelle Klasse aufblitzen zu lassen. Auch Trainer Patrick Glöckner hob seine fleißig ackernden Stars hervor. „Flo hat seine Hausaufgaben gemacht mit dem Tor“, sagte er bei MagentaSport: „Aber er hat auch läuferisch extrem viel gegen den Ball gemacht, Räume gesucht, mit seiner Präsenz die Mannschaft angeführt.“ Und was Volland angeht: „Wenn Kevin viele Ballkontakte hat, kann er den Gegner mürbe spielen. Wir haben es nicht oft geschafft, ihn einzusetzen. Aber gegen den Ball hat er überragend gearbeitet. Man sieht, er ist nicht nur ein Künstler, er ist auch ein Fighter.“ Und wie Niederlechner ein echter Teamplayer.
Für Werner steht fest, dass die Löwen noch viel Freude an ihrem neu formierten Team haben werden. Seine Prognose: „Wir haben spielerisch noch mehr im Tank – 20 bis 30 Prozent. Das wird jetzt jede Woche besser.“ Es klang wie eine Drohung an die Liga.ULI KELLNER