Das Schweizer Team Holcim-PRB (l.) kollidierte mit dem italienischen Team Allagrande Mapei Racing. © Brandt/DPA
Kiel – Die Vogelperspektive glich anfangs einer Segleridylle: Sieben Hochseeboote auf dem Wasser und zehntausende Fans an Land produzierten zum Start des Ocean Race Europe genau die Bilder, die sich eine zunehmend an Popularität gewinnende Sportart und die Segel-Hochburg Kiel gewünscht hatten. Nur: Rasch schipperte das erste Hightechboot mit völlig zerfetzten Segeln wieder Richtung Küste – und die vielen in Ufernähe ankernden Zuschauerboote mussten Platz machen. In zwei Minuten war die heile Welt zerrissen.
Das Schweizer Team Holcim-PRB mit Skipperin Rosalin Kuiper kollidierte mit dem von hinten kommenden italienischen Team Allagrande Mapei Racing mit Skipper Ambrogio Beccaria dramatisch. Das Gute: Kein Mensch kam zu Schaden, wohl aber einiges Material.
Auf der italienischen Rennyacht waren das Vor- und Großsegel von der Schweizer Konkurrenz zerfetzt worden, bei der wiederum Löcher in der Bordwand klafften, weil ein Ausleger des Mastes wie ein Dolch hineingestoßen war. Man mag sich nicht vorstellen, was in einem solch unkontrollierbaren Moment – wenn ebenso majestätisch wie monströs anmutenden Boote wie Pfeile durchs Wasser schießen – noch hätte passieren können.
Die Organisation „The Ocean Race“ hat zum Auftakt große Aufmerksamkeit geniert, aber das Segeln am Limit kritisierte der Italiener Beccaria unter diesen Bedingungen deutlich: „Die Startlinie war sehr kurz. Das ist sehr gefährlich. Wir sind ja nicht beim Sail GP. Wir brauchen viel mehr Platz. Die nahen Zuschauerboote waren gefährlich.“
Ihm habe es nach der Rückkehr in den Hafen das Herz gebrochen. Seine Yacht war erst auf den letzten Drücker in Kiel angekommen, weil sie kurz zuvor nach Schäden aus einer vorangegangenen Regatta noch in Lorient repariert werden musste. Seine Schelte erinnerte an die wiederkehrenden Debatten im Ski- und Motorsport – und die Kardinalfrage: Wie viel Sicherheit darf das Spektakel kosten?
„Im Moment konzentrieren wir uns darauf, das Boot startklar zu machen, es so schnell wie möglich zu reparieren und hoffentlich in Portsmouth an den Start zu gehen. Wir werden das schaffen. Wir haben ein sehr starkes Team“, sagte Kuiper, nachdem sie unter tröstendem Applaus mit ihrer schwer gezeichneten Yacht wieder im Hafen eingelaufen war.
Das Schweizer Team reichte noch am Sonntagabend „einen formellen Protest“ ein. Rennleiter Phil Lawrence sagte, der Vorfall werde „zu einem noch festzulegenden Zeitpunkt“ von der Internationalen Jury behandelt. NDR-Segelexperte Tim Kröger hatte in der Live-Übertragung die Italiener als „ausweichpflichtig“ bezeichnet.
Boris Herrmann, dessen Team Malizia auf Rang drei unter den verbliebenen fünf Booten bereits die Nordsee erreicht hat, sagte: „Bei uns an Bord ist alles gut. Für mich sieht der Crash auf dem Video so aus, als sei Mapei mit mega viel Speed von hinten angekommen und im Prinzip in Holcim reingebrettert.“
Herrmanns Verdacht mit Blick auf die Holcim: „Vielleicht hat jemand nach dem Befehl, den Kiel nach rechts zu klappen, versäumt, wieder auf Stopp zu drücken.“ Es sei eine schwierige Situation. „Wir hoffen natürlich, dass sie zurück ins Rennen kommen. Wir schicken auch Ersatzteile aus Frankreich. Ich glaube, auch Leute, die helfen“, sagte der deutsche Segel-Star.
Die vom Crash betroffenen Teams können jede Hilfe gebrauchen, denn ihnen droht die Zeit davonzulaufen. Die zweite der fünf Etappen im Ocean Race Europe beginnt bereits am 17. August in Portsmouth. Wenig Zeit für viele Aufgaben. FRANK HELLMANN