„Das ist unsere Tour de France“

von Redaktion

Ex-Radprofi Jens Voigt über die Deutschland Tour und Liebling Lipowitz

Der Experte: Jens Voigt begleitet die Deutschland Tour als Botschafter der „kinder Joy of Moving mini tour“. © Kinder Joy of Moving

Kassel/München – Nun läuft sie also, die Deutschland Tour. Mit dem gestrigen Prolog in Essen erfolgte der Startschuss, in den kommenden Tagen führt der Weg über insgesamt 741 km bis nach Magdeburg. Der ehemaligen Profi Jens Voigt, selbst zweimaliger Sieger der Deutschland Tour, gibt unserer Zeitung seine Einschätzungen. Was ist von der Tour 2025 zu erwarten? Was hält er von Tour-de-France-Shootingstar Florian Lipowitz? Und warum wagt er sich eigentlich hin und wieder selbst auf ein Rad mit Elektromotor?

Herr Voigt, sind Sie eigentlich schon mal E-Bike gefahren?

Selbstverständlich (lacht). Ich habe meiner Frau ein E-Bike geschenkt, das hat einen Korb am Lenker. Manchmal nehme ich es, wenn ich morgens Brötchen hole.

In einem Radrennen wäre ein E-Bike manchmal auch nicht so verkehrt, vor allem in hügeliger Umgebung. Die gibt es auch hin und wieder mal auf der Deutschland Tour. Wie beurteilen Sie die Strecke?

Klar geht es auch mal hoch und runter. Das ist aber vor allem zu Beginn und zur Halbzeit des Rennens der Fall, sodass zum Ende alles wieder zusammenlaufen kann. Ein Klassiker-Fahrertyp mit hoher Endgeschwindigkeit wird sicher gute Chancen auf ein erfolgreiches Gesamtergebnis haben. Prinzipiell sehe ich die Streckenprofile aber eher sprintlastig. Es sind auch viele sehr gute Sprinter dabei.

Sie selbst haben die Deutschland Tour zweimal gewonnen, Nils Politt war 2021 der letzte Deutsche, dem das gelang. Was trauen Sie den deutschen Fahrern dieses Mal zu?

Es hängt natürlich vom Rennverlauf ab, aber wir haben viele sehr gute Fahrer dabei. Pascal Ackermann und Phil Bauhaus sind Sprinter, die eine gute Rolle spielen könnten. John Degenkolb kommt nach seiner Verletzung zurück. Für ihn geht es wahrscheinlich erst einmal um ein gutes Gefühl. Von Florian Lipowitz sollten wir nicht allzu viel erwarten.

Warum nicht?

Wichtig ist, dass er am Start steht und nach der Tour de France wieder seinen Rhythmus findet. Aber wahrscheinlich fährt er nach seinem tollen dritten Platz in Frankreich als neuer deutscher Radsport-Held auch deshalb mit, weil Mannschaft und Sponsoren das möchten. Von ihm sollten wir nicht mehr erwarten, außer dass er ein paar gute Rennkilometer einsammelt und möglichst höflich lächelt.

Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?

Ich glaube, dass wir bis jetzt noch gar nicht sein volles Potenzial gesehen haben. Er ist bisher jedes Jahr sehr schnell sehr viel besser geworden. Bei der Tour de France war er einer der wenigen Fahrer, der mal probiert hat, eine Attacke von Tadej Pogacar oder Jonas Vingegaard mitzufahren. Das hat gut funktioniert. Ich glaube, ihm fehlen nur noch ein bis drei Prozent, dann ist er mit denen auf Augenhöhe.

Trauen Sie Lipowitz zu, schon bald eine neue deutsche Radsport-Ära zu prägen?

Natürlich ist das möglich. Die Richtung geht dahin, weil er auch ein sehr bodenständiger Typ ist. Er neigt nicht dazu, abzuheben oder leichtsinnig zu werden. Allerdings sollten wir auch nicht den Fehler machen, einem 24-Jährigen nun die gesamte deutsche Radsport-Hoffnung auf die Schultern zu laden. Aber ganz sicher wird er eine lange und sehr gute Karriere haben.

Auf welche Fahrer gilt es bei der Deutschland Tour noch zu achten?

Jonathan Milan hat bei der Tour de France zwei Tagessiege eingefahren und das grüne Trikot geholt. Wout van Aert hat die Schlussetappe in Paris gewonnen und mit Matthew Brennan ist ein junger britischer Fahrer dabei, der ein bisschen an Mark Cavendish erinnert. Es ist ein illustres, gutes Feld.

Die Tour geht nur über fünf Tage. Wo steht sie im internationalen Vergleich?

Zumindest dem Namen nach ist sie unsere Landesrundfahrt. Das ist, wenn man so will, unsere Tour de France. Dass sie so kurz ist, liegt am Budget, an ihrer relativ jungen Geschichte, an einem vollen Terminkalender. In dem hat die Deutschland Tour aktuell aber einen perfekten Platz gefunden. Kurz nach der Tour de France führt sie nicht durchs Hochgebirge. Sie ist für viele Fahrer ein guter Wettkampf, um die zweite Saisonhälfte vorzubereiten. Sie ist sicher, hervorragend organisiert, es gibt gute Straßen – das wird honoriert, die Teams treten in guter Besetzung an. Ich persönlich würde mir aber wünschen, dass sie länger ginge. Zum Beispiel, indem man der Vuelta eine Woche nimmt und die Deutschland Tour zehn Tage fährt. Dann wäre auch mal eine Rundfahrt von Nord nach Süd, von Ost nach West möglich.

INTERVIEW: PASCAL SPINDLER

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