„Extrem übers Menschliche“

von Redaktion

Marius Wolf beschreibt den Aufbruch des FC Augsburg unter Sandro Wagner

Premiere gegen die Bayern: Nach 14 Bundesliga-Jahren wurde der Augsburger Spielertunnel erneuert. Statt Beton dominiert nun Römer-Optik. © FC Augsburg

Taktikbesprechung: FCA-Kapitän Sandro Wagner und Marius Wolf. Am Samstag treffen sie auf die Bayern. © IMAGO

Abschluss eines spektakulären 75-Meter-Sprints: Wolf (l.) mit dem Augsburger 3:0 in Freiburg. © AFP/THOMAS KIENZLE

Augsburg – Wenn er spielt, hat Marius Wolf (30) die Stutzen über die Knie gezogen. Im Interview mit unserer Zeitung aber ist eine sonst verborgene Tätowierung auf dem Schienbein erkennbar: Sie zeigt den DFB-Pokal und das Datum 19. Mai 2018. Mit Eintracht Frankfurt bezwang Wolf damals die Bayern – für die Sandro Wagner spielte. Jetzt sein Trainer in Augsburg. Und zusammen geht es am Samstag (18.30 Uhr/Sky) gegen die Bayern. Unser Gespräch mit dem vielgereisten Marius Wolf (als Profi beim TSV 1860, Hannover, Frankfurt, Dortmund, Hertha BSC, Dortmund, seit 2024 FCA).

Vor drei Jahren bei Borussia Dortmund fiel Erling Haaland verletzt aus. Dennoch stand da einer auf dem Platz wie er: groß, blond, die Haare zusammengebunden – und der schoss ein Tor.

Zwei sogar in einer Woche. Gegen Bielefeld und gegen Köln.

Marius Wolf, Sie sind der Erling-Haaland-Lookalike.

(lacht) Andersrum. Er ist der Marius-Wolf-Lookalike.

Am Samstag waren in der Bundesliga jedenfalls wieder Haaland-Vibes zu verspüren, als Sie, nunmehr als Spieler des FC Augsburg, einen 75-Meter-Sprint mit Ball am Fuß mit dem Tor zum 3:0 in Freiburg vollendeten. So leicht war das gar nicht, man kann das auch versemmeln unterwegs.

Es ist ein weiter Weg gewesen, doch ich hatte den Gedanken, dass der Freiburger mich nicht einholt oder ich ein Foul ziehen kann, falls er mich einholt. Beim Abschluss habe ich nicht viel nachgedacht, mir war nur klar, dass ich mit meinem starken rechten Fuß und ins lange Eck schießen will.

„Nicht viel nachgedacht“ – nun ja, jetzt haben Sie schon einige Gedankengänge während des hochintensiven Laufs geschildert.

Man hat Zeit und Platz und denkt über die Situation nach.

Haben Sie realisiert, welchem Freiburger Spieler Sie die Kugel abgenommen haben?

Ich habe gemerkt, dass es Eren Dinkci ist. Er ist nicht der Langsamste, und deswegen dachte ich, ich könnte eingeholt werden.

Schauen wir doch mal in die Bundesliga-Daten des ersten Spieltags. Dinkci war mir 34,2 km/h der neuntschnellste Spieler der Liga, Sie landeten mit 32,86 km/h auf dem 41. Platz. Er kann schneller laufen – und doch hat er sie nicht gekriegt.

32 km/h ist eigentlich langsam für mich, aber ich musste ja den Ball führen.

Sind solche Daten interessant für Sie als Spieler?

Es geht immer mehr um Daten, ich schaue mir die relevanten schon an. Was man braucht, kann man auslesen.

Wie oft schauen Sie ein Tor an, wie es Ihnen in Freiburg gelungen ist?

Ich bin nicht der Typ, der Tore hundert Mal anschaut. Manchmal schicken es einem aber auch Kollegen. Gut, ein paar Mal habe ich es gesehen (lacht).

Es gibt eine Datenbank, die alle Tore, die ein Spieler erzielte, kategorisiert. „Kontertor“ – das gelang Ihnen zuvor nur einmal, 2014 in einem U19-Spiel des TSV 1860 München gegen Astoria Walldorf.

Oh, das wusste ich nicht mehr. Daran habe ich keine Erinnerung.

Sie waren damals Mittelstürmer. Was ist eigentlich Ihre Kernposition?

Gegen Freiburg war es die rechte Außenbahn, man konnte gut erkennen, dass ich ziemlich weit und breit die Kette von Freiburg binden sollte wie mein Gegenüber auch – und das hat gut funktioniert. Ich spiele viel auf der Außenbahn, rechts und links, offensiver, defensiv. Mein Vorteil war immer, dass ich nicht nur eine Position, sondern schon fast alles mal gespielt habe. Aktuell ist es die rechte Seite vorne.

Das beliebte kicker-Managerspiel listet Sie in der Abwehr.

(lacht) Ich bin unberechenbar. Es kann auch von Spiel zu Spiel unterschiedlich sein. Je nachdem, was der Trainer für ein System vorgibt und welche Spieler er auswählt. Robin Fellhauer hat am Samstag auf der Zehn angefangen und das Spiel als linker Verteidiger beendet. Es ist gut, Spieler zu haben, die das können. So kann man auf Verletzungen und Spielsituationen reagieren.

Als es 0:0 stand, sprach Sandro Wagner ausführlich mit Ihnen, danach stellte er das System um. Sind Sie der verlängerte Arm des Trainers?

In der ersten Halbzeit habe ich auf der Seite der Trainerbank gespielt, deswegen haben wir viel miteinander gesprochen. In der zweiten Halbzeit war es jemand anderer. Ich glaube, es ist ihm egal, wer da steht – es ging ihm darum, eine Information möglichst schnell an die Mannschaft weiterzugeben. Es hatte also nicht mit mir persönlich zu tun.

Aber Sie beide kennen sich länger?

Ja. Wir haben ja noch gegeneinander gespielt, zum Beispiel mit Frankfurt gegen Bayern. Mit Sandro hatte ich einen Kontakt, der übers Fußballfeld hinausging. Ich war gespannt darauf, wie er als Trainer agiert, aber überzeugt, dass es gut sein wird, weil ich ihn auch menschlich sehr schätze.

Es heißt, er hat, als er unterschrieb, alle Spieler angerufen. Üblich?

Das ist schon eine Ausnahme. Vereinzelt habe ich es erlebt. Es ist einfach seine Art, er kommt extrem übers Menschliche, will jeden Einzelnen weiterentwickeln.

Vieles hat sich in Augsburg erst mal auf Wagner fokussiert. Ist es für die Mannschaft ein Problem, wenn weniger von ihr die Rede ist als von der starken Trainerfigur?

Nullkommanull ist das ein Problem. Je mehr Fragen er beantwortet, desto weniger bekommen wir gestellt. Er bringt dem FC Augsburg auch Aufmerksamkeit, wir konzentrieren uns auf Fußball.

Unterscheidet sich seine Ansprache nach innen von der nach außen? Sandro Wagner gilt ja als wortgewaltig.

Wenn er analysiert, und das ist bei ihm wirklich sehr detailliert, ist es eine andere Sprache, als wenn wir zusammensitzen und uns unterhalten.

Ihr Erfahrungsschatz in Sachen Trainern ist enorm. In gut zehn Jahren als Profi hatten Sie schon 22 Vereinstrainer, da war einiges dabei von Thomas Schaaf über Jürgen Klinsmann bis zu Friedhelm Funkel und Niko Kovac. Sie sind doch gar nicht der Typ Trainerfresser.

(lacht) Bei 1860 waren es ziemlich viele, in Berlin drei, in Dortmund über die Jahre kamen auch einige zusammen. Und ich hatte viele Stationen.

Apropos 1860 München: Einmal Löwe, immer Löwe?

Den ersten Schritt in den Profibereich behältst du in Erinnerung, entwickelst eine besondere Bindung, denn du hast etwas geschafft fürs Leben. Hat man einem Verein so etwas zu verdanken, blickt man nie schlecht zurück.

2023 als Dortmunder wurden Sie Nationalspieler, bestritten von März bis Juni fünf Länderspiele am Stück.

Es war die größte Ehre, das erleben zu dürfen.

Eine wilde Zeit der Neuorientierung der Nationalmannschaft nach der missglückten WM in Katar. Hansi Flick wurde für seine Experimente allerdings kritisiert.

Ich war voller Optimismus. Über etwas anderes habe ich gar nicht nachgedacht. Ich habe keine schlechten Spiele gemacht, aber dann gab es (im September 2023, d. Red.) den Trainerwechsel, und man hat sich für andere Spieler entschieden. Es ist keine Welt zusammengebrochen für mich, ich war dankbar, dass ich hatte dabei sein dürfen.

Fühlen Sie sich dem DFB-Team noch zugehörig oder als Ex-Nationalspieler?

Aktuell bin ich Ex-Nationalspieler und richte mein Augenmerk auf Augsburg, alles andere ist nebensächlich.

Augsburg hat die Historie, schwer in die Saison zu kommen. Nach Freiburg herrscht Hochgefühl rund um den FCA. Aus Ihrer Erfahrung: Trügerisch?

Es ist immer was Gutes, Selbstbewusstsein aufgebaut zu haben. Aber jeder kann es einschätzen, dass ein oder zwei Partien mit dem Pokalspiel noch nichts aussagen. Wir haben gegen Bayern ein schweres Spiel vor der Brust, aber zu Hause ist alles möglich.

INTERVIEW: GÜNTER KLEIN

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