„Jetzt gilt es, jetzt zählt es“: Bundestrainer Julian Nagelsmann und Sportdirektor Rudi Völler präsentieren sich als Einheit. © Heilwagen/Imago
Bratislava – Julian Nagelsmann reagierte gereizt. Offiziell nicht wegen der Kritik, die Matthias Sammer, einer der Meinungsmacher im deutschen Fußball, am Bundestrainer angebracht hatte, sondern aufgrund der Stilfrage. „Ich bin offen für Kritik, ich bin ein Freund davon“, versicherte Nagelsmann – und schränkte zugleich ein: „Wenn man es persönlich macht. Oder wenn man weiß, dass ein Interview dazu erscheint, dass man die betroffene Person auch kurz informiert. Erst recht, wenn man zuvor in einem Verein tätig war.“ Nagelsmann wäre also gerne darauf vorbereitet gewesen, was Sammer, der ehemalige Sportdirektor des DFB und des FC Bayern München, vor einiger Zeit im Fachmagazin kicker äußerte: Deutschland nur noch ein „Maschinchen“, keine Maschine mehr, und es mangele an Demut, wenn man vom Gewinn der Weltmeisterschaft im nächsten Jahr rede.
Inzwischen hat Julian Nagelsmann sich sortiert und ist bereit zur Gegenrede. Er bezieht sich auf Christian Streich, eine der profiliertesten und beliebtesten deutschen Trainerfiguren. Der sei kürzlich bei einem internationalen Kongress neben ihm gesessen und habe ihn in der Weltmeister-These bestärkt. Streich fragte: „Was wäre die Alternative dazu, den Titel als Ziel auszurufen? Wenn man den Spielern sagt, man wolle die Gruppenphase überstehen, reisen sie dann motivierter an?“ Mit dem Segen von Streich, der Verkörperung von Bodenständigkeit, kann Nagelsmann darauf bestehen: „Den WM-Titel als Ziel auszugeben, ist nicht arrogant oder nicht ausreichend demütig, sondern ganz normal.“
Dennoch: Es ist spürbar, dass Nagelsmann trotz einer vorzeitigen Vertragsverlängerung sich unter Druck gesetzt fühlt. Seine bislang knapp zwei Jahre währende Amtszeit beim DFB ist mehr eine gefühlte als tatsächliche Erfolgsgeschichte: Er hat es hinbekommen, zur Heim-EM 2024 ein Team hinzustellen, mit dem sich die Landsleute wieder identifizieren mochten. Allerdings: Das Sommermärchen endete im Viertelfinale, und es fehlte halt doch ein bisschen mehr als nur eine bessere Schiedsrichterentscheidung bei einem spanischen Handspiel. Im folgenden Wettbewerb Nations League spielte die DFB-Vertretung ordentlich, kam weiter als unter den Bundestrainer-Vorgängern Löw und Flick, doch musste im Endturnier der besten vier Mannschaften trotz Heimvorteils ihre Grenzen erkennen.
Nagelsmann ist nun wieder an einem Punkt angelangt, den er von Ende 2023/Anfang 2024 kennt. Er weiß, dass er Korrekturen vornehmen muss, um die Mannschaft voranzubringen. „Jetzt gilt es, jetzt zählt es“, sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler. In Bratislava beim Einstieg in die WM-Qualifikation (Donnerstag, 20.45 Uhr, ARD) gegen die Slowakei beginnt eine neue Etappe. Vor der EM hatte der junge Bundestrainer im Kader eine klare Rollenverteilung festgelegt, diese Hierarchie und das Comeback von Toni Kroos bildeten die Grundlage für den Aufschwung. Nun zieht Nagelsmann bei einigen Spielern die Zügel an – zu dieser Maßnahme zählen einige demonstrative Nichtnominierungen wie die von Leroy Sané –, verfrachtet Joshua Kimmich als Ordner und Security-Mann in die Mittelfeldzentrale und erwartet von der Abwehr, dass sie sich nicht so leicht übertölpeln lässt. Sogar über die aus Innenverteidigern gebildete „Ochsen-Abwehr“, Erfolgsmodell der WM 2014, wird zumindest nachgedacht.
Sechs Spiele, sechs überzeugende Siege, mit dieser Vorstellung geht Nagelsmann, der sich mit seinem Trainerteam auf Klausur ins Allgäu zurückgezogen hatte, in die kurze Qualifikationsrunde. Vergangene Woche lobte er öffentlich einen Mitarbeiter des DFB-eigenen Reisebüros, der in den USA die möglichen WM-Unterkünfte sichtet. Keine Arroganz – sondern eine alte und bewährte DFB-Tradition.GÜNTER KLEIN