ZUM TAGE

Das Irrlichtern des Bundestrainers

von Redaktion

Nagelsmann in der Kritik

Julian Nagelsmann war trotzig wegen der Ungerechtigkeit, die seinem Team durch ein nicht geahndetes spanisches Handspiel widerfahren war. Er war allerdings auch euphorisiert durch die Wochen der Europameisterschaft und den Zuspruch des Publikums, das die Nationalmannschaft wieder zu schätzen gelernt hatte. Dem jungen Bundestrainer mag auch das Bild gefallen haben, das medial von ihm gezeichnet wurde: So frisch, so unverbraucht, so anders als seine Vorgänger, auf neue Weise die Gesellschaft belebend und staatstragend. Julian Nagelsmann ließ sich zu diesem forschen Satz treiben: Geiler Job, aber wie schade es sei, dass man zwei Jahre warten müsse, bis man sich Weltmeister nennen dürfe.

Deutschland wird nicht Weltmeister; wer damals schon vor Vermessenheit warnte, fühlt sich bestätigt. Nicht nur durch dieses eine Spiel in Bratislava, das infrage stellt, ob man es überhaupt schaffen wird bis nach Nord- und Mittelamerika. Es erscheint auch vorstellbar, dass Nagelsmann im Sommer 2026 gar nicht mehr Bundestrainer sein wird. Dass die Zweifel an ihm, die schon in seiner Anfangsphase vor zwei Jahren spürbar waren, nun wieder wachsen, liegt zum einen an der Ergebniskrise 2025, aber auch daran, dass er einfach keine Linie findet und keinen Fortschritt erzielt.

Er rief einmal das absolute Leistungsprinzip als Nominierungskriterium auf – und ließ dann Erbhöfe entstehen. Er berief Spieler nicht, sprach über ihre Mängel – und holte sie dann doch wieder, ohne dass die Defizite beseitigt worden wären. Er wollte vier Torhüter im EM-Kader haben – und schickte den vierten schließlich doch weg, um 23 statt 22 Feldspieler zur Verfügung zu haben. Er machte Joshua Kimmich vom Sechser zum Zweier und zurück zum Sechser (oder was immer das gegen die Slowakei gewesen sein soll). Bis zum Donnerstagnachmittag widersprach er dem Kritiker Matthias Sammer, der mehr deutsche Tugenden eingefordert hatte, verteidigte vielmehr den Spielansatz, der auch den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland abbildet (und mit dem man 2014 Weltmeister wurde) – seit Donnerstagabend spricht er wie Sammer oder wie früher der Trainer einer Amateurmannschaft in der ersten DFB-Pokalrunde, der Kratzen-Beißen-Spucken einfordert.

Julian Nagelsmann ging in der Nacht von Bratislava auf Distanz zu seiner Mannschaft. Doch sie spiegelt lediglich den Status des deutschen Fußballs wider, der kaum Spieler von Weltklasseformat hat – und wie sie auftritt, ist auch das Ergebnis des Irrlichterns ihres Trainers. Die Geschichte von der großen Einheit, die ein junger Trainer und sein Team bilden, ist auserzählt. Nagelsmann muss die Spieler als klassischer Fußballlehrer erreichen. Der Glaube, dass er das kann, schwindet.

Guenter.Klein@merkurtz.de

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