Ungutes Vorbild: Sebescen bei seinem fürchterlichen Debüt in Holland. © Imago
Gegenspieler Leo Sauer wirbelte Nnamdi Collins durcheinander. © Schueler/Imago
Bruchlandung: Nnamdi Collins wurde nach der ersten Halbzeit ausgewechselt. © Klamar/AFP
Bratislava – Normal enden Debütanten-Geschichten mit einem beseelten Lächeln, mit der Erzählung von der Gänsehaut, als die Nationalhymne ertönte. Es ginge um den Adler auf der Brust und darum, wer das Trikot vom ersten Länderspiel bekomme, Großeltern, Mama, Papa, Geschwister, Freunde. Der Debütant wäre auch gefragt worden, was der Trainer ihm mit auf den Weg gegeben habe. Und der Debütant würde sagen: „Dass ich spielen soll wie im Verein – und Spaß haben.“
Nnamdi Collins (21) von Eintracht Frankfurt sagte gar nichts zu seinem Einstand in der deutschen Nationalmannschaft. Er verschwand und versank danach im Teambus. Sein Spiel hatte auch nur 45 Minuten gedauert und in der Auswechslung geendet. Es war ein traumatisches Erlebnis, das Erinnerungen weckte an einen tragischen Fall in der Geschichte der Nationalelf vor über 25 Jahren: Die eines überforderten Neulings. Den man danach nie wieder im deutschen Trikot sah. Kann Nnamdi Collins das auch widerfahren?
Die historische Geschichte ist die von Zoltan Sebescen. Der war 24 Jahre alt, als er im Februar 2000 zu seiner eigenen Überraschung für das Testspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Niederlande in der Amsterdam Arena berufen und gleich noch aufgestellt wurde. Sebescen stand in seiner ersten Bundesligasaison, für damals 850000 D-Mark war er von den Stuttgarter Kickers zum VfL Wolfsburg gewechselt. Bundestrainer Erich Ribbeck hatte ihn selbst gar nicht beobachtet, er folgte einer Empfehlung, diesen Newcomer einfach mal auszuprobieren. Sebescens Gegenspieler war Boudewijn Zenden. Linksaußen Zenden spielte für den FC Barcelona, er war eine große Nummer im europäischen Fußball, wieselflink, technisch perfekt. Er bereitete das 1:0 vor und erzielte das 2:1. Sebescen lief hinterher, zur Halbzeit war für ihn Schluss. Der Name Sebescen stand fortan für Scheitern in seiner vernichtenden Form. Der versuchte Beginn markierte bereits das Ende.
Bei Collins gab es Parallelen. Die Auswechslung nach 45 Minuten. Sein Gegenspieler Leo Sauer (der gerade seine Ausbildung im niederländischen Fußball erfährt, bei Feyenoord Rotterdam) hatte die gefährlichen Angriffe des slowakischen Teams eingeleitet. Julian Nagelsmann griff tief ins Gefüge ein, um die auch durch Collins bedingte Anfälligkeit in der Defensive zu beheben. Für Collins kam Linksverteidiger David Raum, dafür wechselte Maximilian Mittelstädt auf die rechte Abwehrseite („Das habe ich nur mal kurz im Training gespielt – aber es gab keine andere Option“). Es ist anzunehmen, dass man Nnamdi Collins am Sonntag gegen Nordirland nicht spielen sehen wird; vielleicht gehört er auch dem nächsten DFB-Aufgebot im Oktober nicht an. Dennoch stehen die Chancen weitaus besser als bei Zoltan Sebescen 2000, dass es in der Nationalmannschaft weitergeht.
Collins ist keine Zufallsentdeckung
Nnamdi Collins ist keine Zufallsentdeckung, sondern schon lange im Fokus. Von der U15 bis zur U21 hat er alle Nachwuchsnationalmannschaften durchlaufen, er gehört zu den Vizeeuropameistern vom Sommer (in der Slowakei!). Mit der Frankfurter Eintracht spielt er diese Saison in der Champions League. Er ist 21 und hat ein Instrumentarium an auch sportpsychologischer Unterstützung zur Verfügung, dessen Anwendung vor einem Vierteljahrhundert noch gemieden wurde. Und anders als bei Zoltan Sebescen, der als Nobody von seinen prominenten und erfahrenen Mitspielern gleich nach dem einen Spiel fallengelassen wurde, genießt Collins Unterstützung aus der Mannschaft. Der Umgang mit dem Scheitern ist ein sensiblerer geworden. „Ich hoffe, er macht sich keinen zu großen Kopf“, meint Joshua Kimmich. „Er war nicht schlechter als die anderen. Als Neuling ist man ein Stück weit mehr abhängig vor der Mannschaft.“
Bundestrainer Julian Nagelsmann war mitschuldig gewesen an der Performance des Frankfurters, weil er dessen im Verein zutage getretene offensive Ausrichtung als Stärke herausstellte und das von Collins auch gegen die Slowakei verlangte. Doch die Ausflüge des rechten Verteidigers endeten nicht gut. „Wir müssen testen“, sagte der Bundestrainer, „Nnamdi hatte nicht den super Tag, aber sein Gegenspieler, der das große Talent des slowakischen Fußballs ist. Ich werde jedenfalls nicht einen Debütanten verantwortlich machen.“ Collins darf wiederkommen. Später mal.
GÜNTER KLEIN