ZUM TAGE

Es gibt ein Recht auf Unmut

von Redaktion

Dürfen Deutschland-Fans pfeifen?

„Die Fans“ gibt es im Fußball nicht. Zu divers sind die Szenen, die Spiele besuchen. Und am weitesten geht es auseinander zwischen Vereins- und Nationalmannschaftspublikum. Die so genannten aktiven Fans und Ultras, die am Wochenende ihr Stadion besuchen oder ihren Club auswärts begleiten, meiden in der Regel die Events des DFB. Dort trifft man eher auf Familien, auf Kinder, auch auf einen beträchtlichen Anteil von Senioren, die noch das Trikot von der WM 2006 auftragen. Man kann die Atmosphäre bei internationalen Spielen als entspannter und freundlicher empfinden. Allerdings: Der Mannschaft fehlt dann halt auch der dauerhafte und nicht an Bedingungen geknüpfte Support von den Rängen.

Die Interaktion ist eine direktere in einem Länderspielstadion wie am Sonntagabend in Köln anlässlich der WM-Qualifikationsbegegnung mit Nordirland. Die Zuschauerschaft geht mit gutem Willen an eine solche Aufgabe heran, sie versteht sich zunächst als aufmunterndes Element. Doch sie reagiert schnell auf Unpässlichkeiten der Mannschaft. Es genügten wenige Minuten des Leerlaufs, um die Spieler und wohl auch deren Trainer mit Empörung in die Halbzeit zu schicken. Dafür waren später zwei deutsche Tore wieder der Anlass zur Versöhnlichkeit. Hinterher waren die Stimmungswechsel Thema auch bei Julian Nagelsmann.

Er sagt, was viele in diesem Business sagen: Dass man Verständnis haben müsse. Die Leute geben Geld aus für die Tickets, sie dürfen es zeigen, wenn sie unzufrieden sind. Doch er meint es nicht wirklich so und wünscht es sich anders: Keine Pfiffe, „weil die den Menschen da unten nicht helfen“. Das mag stimmen – aber es ist nicht als Aufgabe des Publikums festgelegt, diese Hilfe zu leisten. Zum Fußball gehört ein Recht auf Unmut. Eine deutsche Nationalmannschaft muss, zumal in einem Spiel gegen einen No-name wie Nordirland, eben so gut sein, dass sie keine Missbilligung von draußen erfährt. Es liegt an ihr.

Die Entwicklung der Nationalmannschaft war eine positive seit März 2024. Bei der EM kam es trotz des überschaubaren Erfolgs zu einer Solidarisierung der Deutschen mit dem Team, vielleicht wollte man ein Gefühl von früher, von der Ära bis 2016, 2017, in unsicheren Zeiten noch einmal aufleben lassen. Doch ein Jahr danach zeigt sich, dass diese wiederentdeckte Zuneigung nur halten kann, wenn die Mannschaft dafür die Substanz liefert. Dass sie über diese verfügt, daran gibt es berechtigte Zweifel. Guenter.Klein@ovb.net

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