Vertrauen, bitte!

von Redaktion

Nagelsmann gibt sich kämpferisch – trotz diverser Baustellen

Hinten läuft wenig zusammen: Rüdiger. © IMAGO/Meusel

Kollektiver Jubel: Raum als Sinnbild. © IMAGO/Wedel

Zwischen Jubel und Rage: Nagelsmann erlebte einen Abend zwischen den Welten. © IMAGO/Hirnschal

Köln – Julian Nagelsmann wurde erwischt, wie er an seinen Nägeln kaute. Nervös? „Das mache ich schon lange, das war in der F-Jugend bereits so. Es ist ein Zeichen, dass ich nachdenke und versuche, eine Lösung zu finden.“

Julian Nagelsmann wurde beobachtet, wie er mit Halbzeitpfiff sich wegdrehte vom Spielfeld und ein höchst eiliges Tempo anschlug, um schnell in der Kabine zu sein für eine vermutlich tiefgreifende Ansprache. So sei es nicht gewesen, erklärte er: „Wir haben den Ausgleich kassiert – wow, das passiert öfter im Fußball. Die Fans haben gepfiffen – wow, das passiert öfter im Fußball.“ Er wollte ausdrücken: Es war beileibe keine Ausnahmesituation, in der man sich beim Stand von 1:1 befand. „In der Kabine ist da schon wieder was entstanden.“

Julian Nagelsmann jubelte, und wie er aufs Feld hüpfte, das wurde interpretiert als Ausdruck ganz besonderer Erleichterung über die Tore zum 2:1 und 3:1, die den überlebensnotwendigen Sieg gegen Nordirland ausmachten. „Ich juble nicht anders als sonst“, widersprach er und wurde philosophisch und grundsätzlich: „Tore sind die Essenz des Fußballs. Wenn ich nicht mehr juble, muss ich meinen Job aufgeben.“

Die Botschaft des Bundestrainers: Auch in Zeiten mit etwas unruhiger Ergebnislage solle man ihm und den Spielern vertrauen. Ärgerlich zwar, dass die Slowakei durch ein spätes und glückliches 1:0 in Luxemburg den Druck auf die DFB-Mannschaft nicht geringer werden ließ, doch man selber habe die Aufgabe doch souverän erledigt. „Wir sind verdient in Führung gegangen, Nordirlands Ausgleich resultierte aus dem einzigen Schuss, den wir auf unser Tor zugelassen haben. Und die zehn Minuten vor und nach dem 2:1 und 3:1 waren richtig gut.“ Nagelsmann freute sich auch über seine Jokerhand: Amiri sozusagen der Matchwinner, Beier mit wichtigen Tiefenläufen. Und seine Startelf-Entscheidung für den Stuttgarter Jamie Leweling – doch auch richtig.

Dennoch war das Spiel der Deutschen nicht so rund, wie der Bundestrainer es glauben machen wollte. Es drohte zu kippen nach dem 1:1, Nervosität griff um sich, Bratislava reloaded. Die Zuschauer ließen die Mannschaft ihre Zweifel spüren. „Wie Hyänen im Busch, bereit zu beißen“, so kamen Nagelsmann in dieser kritischen Phase die Fans vor, „das hilft den Menschen da unten auf dem Platz nicht. Ich pfeife auch nicht, wenn ich unzufrieden bin.“ Um das Team herum hat sich auch das Szenario aufgebaut, es könne scheitern an der Vorgabe Gruppensieg und direkte WM-Qualifikation.

Derzeit entsteht nicht der Eindruck, da sei eine Elf, die sich einspiele. Nagelsmann erklärt die wechselnden Besetzungen als Anpassungen an den Gegner und die Situation. „Eigentlich spielen wir seit März 2024 immer das gleiche, nur mit wechselnden Personen. Aber die Formel 1 fährt auch nicht mit einem Satz reifen. Bei Regen werden keine Slicks aufgezogen.“

Und immerhin in der Mannschaft ist auch der Eindruck entstanden, eine Reaktion auf das Debakel vom Donnerstag gezeigt zu haben. „Das war ein Schritt nach vorne“, erklärte Waldemar Anton, der in der neuformierten Dreierkette den zentralen Innenverteidiger gab. „Wir haben noch genug Spiele, in denen wir beweisen müssen, dass wir alle an einem Strang ziehen und Spiele gewinnen wollen. Aber heute war der erste Schritt.“

Tatsächlich aber bleiben der Nationalelf gar nicht so viele Möglichkeiten, um diese nächsten Schritte zu gehen. Noch vier Länderspiele folgen, um sich für die Weltmeisterschaft 2026 zu qualifizieren (und den ungeliebten Playoffs aus dem Weg zu gehen), zwei danach, um in WM-Form zu kommen. Und trotz der merklich verbesserten Einstellung und dem zweiten Sieg des Kalenderjahres stellt sich nach dieser Länderspielperiode die Frage: Wie soll das reichen, um die hochgesteckten Ziele – aktuell irgendetwas zwischen Turniersieg und „eine gute Rolle spielen“ – zu erfüllen?

Positiv: Die „deutschen Tugenden“, die übersetzt eine griffige Einstellung bedeuten, zeigte die DFB-Elf. Zum Rest sagte Raum: „Wir müssen aus diesen Fehlern lernen, müssen als Mannschaft insgesamt wachsen, müssen mehr zusammenstehen und müssen mehr Selbstverständlichkeit an den Tag legen.“ Bis zur nächsten Partie gegen Luxemburg (10. Oktober) bleibt also genug zu tun. GÜNTER KLEIN, VINZENT TSCHIRPKE

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