Finnlands Gegenmodell: Lauri Markkanen. © IMAGO
Der deutsche Star: Franz Wagner. © Grits/dpa
Riga – Auf ihrem Weg zu Gold gelangen die deutschen Basketballer nun an einen Spiegel. Vor dem Halbfinale an diesem Freitag (16 Uhr) gegen Finland sehen sie darin sich selbst und die großen Leiden von früher. Es ist aber keinesfalls so, dass die tiefen Wunden der verlorenen Semifinals bei der EM im eigenen Land, 2022, wie Olympia in Paris, 2024, sie beunruhigen. Das Gegenteil ist der Fall, sagt Franz Wagner: „Die schweißen mehr zusammen.“ Sie trugen dazu bei, dass sich aus dieser Ansammlung an talentierten Basketballern eine Schicksalsgemeinschaft formte, deren Hunger auch im vierten Sommer hintereinander unstillbar ist. Es muss schon Gold sein, um sie zu sättigen.
In diesem Halbfinale geht es durch und durch um Vergangenheitsbewältigung. Dazu passt der Gegner, den die Deutschen bereits in der Vorrunde schlugen, ziemlich locker gar 91:61. Bei Olympia, damals gegen Frankreich, war ihnen das schon einmal passiert. Sie schieden dann beim zweiten Treffen aus. „Das haben alle im Kopf“, hielt Alan Ibrahimagic fest, der Ersatz-Bundestrainer. Das war als klares Zeichen zu verstehen: Nochmals widerfährt uns das nicht. Hilfreich ist es ja schon, nochmals gegen die Finnen anzutreten. Den Plan von damals werden sie aufwärmen, verriet der Trainer.
Nur ein Problem quält sie. Die Kurven der beiden Teams nahmen seit dem Duell in Tampere unterschiedliche Richtungen. Die Leichtigkeit der Deutschen verflüchtigte sich. Sie zeigten Schwäche, offenbarten Problemzonen gegen Portugal und Slowenien. „Viele Sachen sind nicht gut gelaufen, die unsere Schuld sind“, sagt Franz Wagner. Gemeint war das Rebounding, was blöderweise auch noch Spezialdisziplin der Finnen ist. Auch der Angriff kommt nun statisch daher. Die Konkurrenz hat die Deutschen ein Stück weit entschlüsselt. Wer es schafft, ihr Tempo zu drosseln und den beiden Stars sämtliche Pfade zum Korb abzusperren, dessen Siegchancen steigen exponentiell. So sah das auch Lauri Markkanen, der große Star der Finnen. Im Gespräch mit unserer Zeitung deutete er an, dass sie noch „ein paar Kniffe“ parat haben. Sie werden bei den Portugiesen und Slowenen spicken. Fazit: „Wir sind noch nicht fertig.“
Zum zweiten Rendezvous in Riga schweben die Finnen auf Wolke sieben ein. Viele tausend Fans buchten Flüge, in der Stadt ist kaum mehr ein Hotelzimmer zu bekommen. Der Großteil der 11 000 Zuschauer wird für das Team schreien, das sich seit 15 Jahren „Susijengi“ nennt. Eine Wortschöpfung des Verbands, die so viel wie Wolfsrudel bedeuten soll und endlich auch so spielt. Die Vorrunde im heimischen Tampere mit allen Erwartungen wirkte wie eine Last, von der sie sich in der K.o.-Runde befreiten. Teamkapitän Sasu Salin jedenfalls kündigt Rebellen an: „Die Gang hat einen neuen Gang gefunden und erkannt, dass wir verdammt gut sind.“
Auf NBA-Leitwolf Markkanen, mehrere hundert Millionen Dollar schwer, fällt das Rampenlicht, aber besonders macht diese Mannschaft ihr Geist. Trainer Lasse Tuovi ist der jüngste EM-Coach, ausgestattet mit einer experimentellen Ader. Die Finnen spielen anders als die anderen, auch wenn sie den Deutschen gar nicht unähnlich sind. Und dann haben sie noch Miikka Muurinen, diesen 18-jährigen Punk mit Tattoos, krachenden Dunks, grenzenloser Dreistigkeit, Talent und einem legendären Spitznamen: „Slim Jesus“, der schlanke Jesus. Er spielt nicht viel, aber wenn, dann ist das Rock’n’Roll. ANDREAS MAYR