Das gallische Dorf der 3. Liga

von Redaktion

1860-Gegner TSV Havelse: Hier spielt der Geschäftsführer noch selbst mit

Lange im Geschäft: Als Profi kickte Florian Riedel u.a. für Osnabrück gegen den jungen Kevin Volland (u. li.). © imago

Havelses Mann für alles: Im Sommer bejubelte Florian Riedel (u. re.) den Aufstieg – danach setzte er sich hin und handelte neue Verträge mit seinen Mitspielern aus. © IMAGO

München – Kennen Sie Garbsen? Vermutlich nicht. 65 000 Menschen leben im niedersächsischen Städtchen nahe Hannover. Bekannter ist der Stadtteil Havelse, beziehungsweise der dort beheimatete Sportverein. Der TSV Havelse ist das gallische Dorf der 3. Liga, kämpft mit kleinen Mitteln gegen gestandene Traditionsvereine, am Sonntag (19.30 Uhr) auswärts beim TSV 1860.

Dabei mittendrin: Florian Riedel. Der 35-Jährige hat die wohl kurioseste Jobbeschreibung im deutschen Profifußball inne. „Da kommt einiges zusammen. Geschäftsführer Profifußball, Vorstand Sport im e. V. – ah, und natürlich Rechtsverteidiger“, erklärt Riedel lachend im Gespräch mit unserer Zeitung. Im Sommer 2022, Havelse war eben frisch aus der 3. Liga abgestiegen, unterbreiteten die Club-Verantwortlichen Riedel, der während seiner Karriere Sportpsychologie und Wirtschaft studiert hatte, das ungewöhnliche Angebot. Seitdem ist er in Havelse, wo die meisten Spieler nebenher noch arbeiten müssen, der Mann für (fast) alles. Kurz vor dem Spiel in München holte er noch den Ex-Löwen Semi Belkahia aus der Vereinslosigkeit, der zwischen 2018 und 2023 das Trikot von 1860 trug.

Gleich zu Beginn seiner neuen Funktion kam es zu einem Kuriosum: „Es war wahrscheinlich das erste Mal im Profifußball, dass ein Spieler seinen eigenen Trainer entlässt. Aber ich sehe da einen entscheidenden Vorteil: Welcher Sportdirektor hätte denn einen so guten Einblick in das Innenleben der Mannschaft gehabt?“ Auf Philipp Gasde folgte Samir Ferchichi. Ein Coach, der über Jahre die Jugend des TSV trainierte – und sich als Glücksgriff entpuppte. Im Sommer folgte mit dem Aufstieg in die 3. Liga das vorläufige Highlight, das durchaus überraschend kam: „Wir hatten letzte Saison mit das kleinste Budget in der Regionalliga und sind aufgestiegen. Heute vor einem Jahr hatten wir nicht einmal einen Hauptsponsor. Wir machen hier aus kleinen Mitteln sehr, sehr viel. 16 Spieler aus unserem Kader kommen aus Hannover, das könnte man sich bei 1860 oder dem FC Bayern wohl kaum vorstellen.“

Doch wie schafft es Riedel (früher unter anderem Profi bei Osnabrück & Kaiserslautern), die Rolle des Chefs und des angestellten Spielers unter einen Hut zu bekommen? „Ich muss Prioritäten setzen, wenn ich allen Posten gerecht werden will. Bedeutet, dass ich am Spieltag selbst nur Spieler sein möchte und unter der Woche meine Geschäftsführertätigkeiten abarbeite. In der Kabine bin ich nur Spieler. Da muss auch keiner Angst haben, wenn er mal einen Spruch über den Trainer loslässt.“ Der schwierigste Part an Riedels Job(s) sind die Vertragsgespräche mit Mannschaftskollegen, gerade bei unbefriedigendem Ausgang: „Diese Vertragsgespräche sind für keinen Geschäftsführer leicht. Ich kann den Jungs dann nicht mal eben zwei Tage aus dem Weg gehen, sondern sehe sie eine Stunde später im Training wieder.“

Nach der Saison beendet Riedel seine aktive Karriere – zumindest als Fußballer. Darüber hinaus hat er große Pläne: „Ich muss keine Angst haben, in ein Loch zu fallen. Als Spieler habe ich es in die 2. Liga geschafft, als Sportfunktionär möchte ich es in die Bundesliga schaffen.“ Doch zunächst steht der Klassenerhalt in der 3. Liga auf der Agenda – keine leichte Aufgabe, was auch der Start mit zwei Punkten aus vier Spielen gezeigt hat: „In der Regionalliga haben wir auch mit einem kleinen Etat überrascht. Unser Ziel ist der Klassenerhalt. Wir sind nicht gekommen, um uns in die Opferrolle zu begeben.“ Die Löwen dürften gewarnt sein vor einem ganz besonderen Club, der sich nicht scheut, die Großen zu ärgern.MBU

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