In Frankfurt wurde die Mannschaft am Montag von hunderten von Fans empfangen. © Wittek/EPA
Amtierender Weltmeister und jetzt auch Europameister: Deutschlands goldene Basketball-Generation hat sich den nächsten Titel geschnappt. © IMAGO/Wiegand
Riga – Im Bademantel standen sie plötzlich in der Hotel-Lobby. So ist es überliefert. Eine Handvoll unwissender Gäste erkundigte sich spätnachts empört, wer oder was denn diesen Lärm verursacht, der sie nicht schlafen lässt. Dem Hotelpersonal blieb nichts anderes übrig, als sich zu entschuldigen für diese improvisierte Riesenparty in der Luxusherberge des Weltverbands zu Ehren des neuen Europameisters aus Deutschland. Die deutschen Basketballer feierten unbeirrt weiter, setzten sich am Morgen in den Siegerflieger, landeten um 11.52 Uhr in Frankfurt. Diesem Flugzeug entstieg die neue Basketball-Macht des Kontinents, die nach WM-auch EM-Gold heim holte.
Als Dennis Schröder nach der goldenen Nacht zur Rede ansetzen wollte, übernahm das Publikum und brachte dem Kapitän ein Ständchen. „Happy Birthday, lieber Dennis“, sangen mehrere Hundert Fans beim Empfang der Europameister in Frankfurt am Main für das Geburtstagskind, es folgten laute „MVP, MVP“-Rufe. „Vielen, vielen Dank, dass ihr alle am Start seid. Wir feiern das extrem“, sagte Schröder, der das Nationalteam am Vortag zum Finalsieg über die Türkei geführt hatte (88:83). „Weltmeister und Europameister, das ist crazy“, meinte der Braunschweiger an seinem 32. Geburtstag.
Dieses deutsche Team hat eine Superkraft, um das es in ganz Europa beneidet wird. Es bildet den ganzen Farbkreis ab – und daraus lässt sich nun einmal jeder beliebige Ton mischen. Wenn es nötig ist, färbt sich Deutschland in Erdfarben, das Symbol für Schwerstarbeit, mit der man gelegentlich Spiele auf seine Seite wuchten muss.
Männer wie Johannes Thiemann, Oscar und Tristan da Silva, Daniel Theis, Justus Hollatz oder Isaac Bonga werden dann zu Basketballern im Blaumann. Sie hämmern und sägen. Es gibt genügend Drecksjobs auf einem Feld zu erledigen, nur findet man dafür nicht immer Interessenten. Die Deutschen gehen im Schuften auf.
Manchmal leuchten sie auch in Pink und Purpur. Wenn sie wieder ausschwärmen in diesem atemberaubenden Tempo und an der Dreierlinie eine kollektive Hitzewelle ausbricht, erinnern sie an eine Show-Truppe, deren einzige Existenzgrundlage das Entertainment ist. Andreas Obst, Maodo Lo, Bonga, da Silva – sie alle ergötzen sich an den Distanzwürfen. An gewissen Tagen braucht es auch dieses Element für große Triumphe, wie der Finalsieg mit sagenhafter Dreierquote von 54 Prozent (bei 14 Treffern) bewies.
Sie haben mehr Gestaltenwandler als alle anderen Nationen. Die beste Bank Europas könnte man auch sagen, die dazu da ist, die Grundrisse, die die Stars Dennis Schröder und Franz Wagner ziehen, auszufüllen. „Wir hatten großartige Leistungen von großartigen Charakteren“, beschrieb Schröder die vergangenen Tage. Womöglich sagte er das auch, weil nun eine Zäsur ansteht. Die Männer in ihren Dreißigern – Daniel Theis, Johannes Voigtmann, Maodo Lo – werden lange und gut überlegen, ob sie nochmals zwei Jahre durchhalten bis zum nächsten Großturnier, der WM in Katar.
Auf andere warten große Karriereschritte wie auf Isaac Bonga, der als bester Verteidiger der EM nun von diversen NBA-Klubs gejagt wird. Er ist ja erst 25 – und wie die Hälfte des Kaders noch ein paar Jahre von ihrer besten Version entfernt. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Deutschlands Vorherrschaft nicht noch einige weitere Jahre anhält. Wagner (24) und Schröder, der noch mindestes acht Jahre spielen will, sind bereit für weitere denkwürdige Abenteuer. Ihre Helfer gehen nicht aus. ANDREAS MAYR