Howdy! Neugebauer trainiert das Jahr über in Texas. © IMAGO/Wozniak
Mit dem Speer könnte „Leo“ in Tokio zünden. © IMAGO/Steiner
Trafen sich 2020 zum ersten Mal: Trainer Jim Garnham und Schützling Leo Neugebauer. © IMAGO/Kohring
Die Könige der Athleten betreten die Manege. Am Wochenende steigt bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Tokio der Zehnkampf. Mitfavorit ist Leo Neugebauer, Silbermedaillen-Gewinner von Paris 2024, deutscher Rekordhalter (8961 Punkte) und Strahlemann der deutschen Leichtathletik. Jim Garnham, Neugebauers Trainer, spricht mit unserer Zeitung über „König Leo“.
Jim Garnham, es ist eine Kunst, dass der Athlet zum Höhepunkt der Saison auch in der besten Form ist. Wie zuversichtlich sind Sie für die Weltmeisterschaft?
Die Deutschen Meisterschaften in Dresden waren ein Weckruf für uns. Die Vorbereitung war super, der Wettbewerb nur okay. Wir wussten, dass da noch viel Arbeit auf uns wartet. Das hat uns die Augen geöffnet. Die letzten Wochen vor der WM sind jetzt super verlaufen, wir sind in den Wettkampfmodus gekommen und bereit!
Erinnern Sie sich an den Moment, an dem Sie dachten: Wow, wer ist dieser Leo Neugebauer?
Das war 2020. Ich habe damals noch für eine andere Universität gearbeitet, es gab eine Meisterschaft in New Mexiko. Wir sind angekommen, ich habe Leo gesehen und dachte mir: Ach du meine Güte, wer ist dieser massive Kerl! Der muss jamindestens 25 Jahre alt sein. Dann habe ich nachgeschaut und es war sein erstes Jahr am College. Zur Sicherheit habe ich nochmal nachgeschaut (lacht). Die Zusammenarbeit mit ihm ist ein Segen. Er ist phänomenal. Er hat sich über die letzten fünf Jahre so großartig gesteigert, das ist verrückt.
Viele hätten Neugebauer mit der Athletik und dem Körperbau auch eine erfolgreiche Football-Karriere prophezeit.
Vielleicht könnte er das. Auf der anderen Seite ist er noch nie von einem Kerl, der noch massiver und größer ist, mit voller Geschwindigkeit getroffen worden (lacht). Bis 2028 liegt erstmal der Fokus auf dem Zehnkampf, vielleicht will er danach was anderes ausprobieren.
Was schätzen Sie an Leo Neugebauer?
Da gibt es wirklich eine Freundschaft, ein enges Band zwischen uns. Jeder weiß, was er vom anderen braucht. Wir wissen genau, was funktioniert und was nicht funktioniert. Das ist über die Jahre gewachsen. Wir wissen immer, was die nächsten Ziele sind und was wir tun müssen, um diese zu erreichen. Die Kommunikation ist reibungslos, immer direkt, immer ehrlich. Wir rufen uns auch am Wochenende an und fragen, was der andere so macht. Leo sagt immer: Wir sind wie ein altes Ehepaar.
Wo kann sich Neugebauer überhaupt noch steigern? Er ist schon deutscher Rekordhalter, hat eine Olympia-Medaille gewonnen.
Er könnte besser sein als jeder, der jemals Zehnkampf gemacht hat. Er hinterfragt sich aber noch zu oft. Wir beenden ein Workout und dann sagt er: Ich denke, ich bin in ganz guter Verfassung. Da entgegne ich: Das sage ich dir seit drei Jahren. Bei den 1500 Metern geht er ganz nach hinten am Start. Da sage ich ihm: Du bist 2,01 m, geh doch in die Mitte, versteck dich nicht. Er ist mental schon stark, er könnte aber noch stärker an sich und seine Fähigkeiten glauben. Nach Götzis haben wir den Fokus auch aufs Speerwerfen gelegt. Vielleicht können wir die Welt schocken, wenn sie Leo in Tokio mit dem Speer sehen (lacht). Da geht es viel um Selbstvertrauen. Im Training wirft er oft deutlich weiter. Ich sage ihm: Mach das bei den Meisterschaften! Die Leute sollen sehen, dass du gut im Speerwerfen, also ein echter Deutscher bist (lacht).
Neugebauer hatte an der University of Texas die perfekten Rahmenbedingungen für den Leistungssport. Sie sind als Trainer mit zu den Wettkämpfen geflogen, konnten direkt vor dem Campus mit ihm arbeiten, Physiotherapeuten rund um die Uhr …
Das ist super wichtig. Du hast eine Struktur, auf die du dich immer verlassen kannst. Leo arbeitet seit Jahren hier mit denselben Leuten zusammen. Hat nicht nur mich als Trainer, sondern auch einen Athletikcoach, hatte immer Unterstützung während des Studiums. Das Wetter spielt eine Rolle. Es macht was aus, wenn du Monate lang draußen trainieren kannst. Wir haben vielleicht 20 schlechte Tage im Jahr. Also noch mal an alle Deutschen: Das Wetter hier ist toll, kommt vorbei! (lacht). Es gibt hier aber auch viele Möglichkeiten zur Entschleunigung. Leo liebt es beispielsweise, am Sonntag auf den Bauernmarkt zu gehen.
Was geben Sie Neugebauer unmittelbar vor dem Wettkampf in Tokio mit auf den Weg?
Ich sag ihm immer: Mach einfach Leo-Dinge. Push dich selbst, schrei deine Freude raus, strahle deine Begeisterung aus. Er muss sich einfach wohlfühlen, dann kann er alles erreichen. Die Fans lieben ihn, er sorgt immer für Stimmung im Stadion. Das kann auch beflügeln.
Ist es auch wichtig, dass es nicht zu viel Show gibt?
Du bist den ganzen Tag im Stadion, bekommst sechs Stunden Schlaf und bist dann wieder den ganzen Tag im Stadion. Das zehrt unfassbar. Essen und schlafen sind da die wichtigsten Disziplinen. Ich erinnere mich an Budapest, das war mein erstes internationales Meeting. Die anderen Favoriten waren schon am Schlafen und wir waren immer noch im Stadion. Jeder wollte mit Leo sprechen. In Paris haben wir es auf das Minimum reduziert: Sprich mit der deutschen Presse, alles andere kommt nach dem Wettkampf. So machen wir es auch in Tokio. Voller Fokus auf die Leistung!
INTERVIEW: NICO-M. SCHMITZ