Vom Intensivtäter zum Sozialarbeiter: Max Pollux.
True Crime: Pollux` lesenswertes Buch kostet 18 Euro.
Die Leitfigur immer vor Augen: Mike Tyson (r.) mit seinem Trainer Cus d`Amato. © imago
Das Projekt seines Elternhauses: Englands Fußball-Ikone David Beckham. © IMAGO
München – Er war selbst einmal ein Krimineller, unter anderem wegen Drogenhandel und Raubüberfällen verbrachte Max Pollux zehn Jahre hinter Gittern – darunter übrigens auch ein Jahr in München. Sein Leben von einst hat der gebürtige Nürnberger wie seinen tatsächlichen Namen Christian Gerber abgestreift. Heute ist er als Anti-Gewalt-Trainer und Autor aktiv. Pollux ist selbst ein diagnostizierter Narzisst und als solcher blickt er aus einer eigenen Perspektive auf sein Umfeld von einst. So wie in seinem neuen True-Crime-Buch „Gefährliches Ego. Wenn Narzissmus tödlich endet.“ (Goldmann, 18,00 Euro). Der Sport war für Max Pollux ein ständiger Begleiter, er war einst aktiver Ringer. Mit unserer Zeitung unterhielt sich der 42-Jährige auch deshalb über die Wirkung von Narzissmus im Sport.
Es gibt Leute, die sagen, im Sport gewinnt nicht der Stärkste, sondern das größte Ego. Braucht man also Narzissmus, um erfolgreich zu sein?
Pollux: Der Drive von innen schlägt definitiv das Talent. Die Sucht nach Anerkennung und Respekt treibt mich an, Leistung zu bringen – auch wenn das natürlich subjektiv ist.
Aber offenbar keine seltene. Sie haben einmal gesagt, jeder habe eine Portion Narzissmus in sich.
Das ist auch so. Aber in unterschiedlicher Ausprägung. Wie die Körpergröße. Der eine ist 1,80 Meter groß und Hobbysportler, der andere ist 2,10 Meter und spielt quasi in der NBA. Aber Narzissmus trägt definitiv jeder in sich.
Gibt es Sportarten, die Narzissmus anziehen?
Das sind vor allem Einzelsportarten, die sich per se auf gehobenem Niveau bewegen. Wie der Reitsport, wo das Equipment schon teuer ist. Oder auch Golf. Sportarten, die von Haus aus einem überschaubaren Kreis vorbehalten sind.
Wie ist es mit Kampfsportarten wie etwa dem Boxen? Mike Tyson etwa galt stets als Parade-Narzisst.
Das stimmt schon. Aber Boxen ist ein Sport, in dem du die Fähigkeit haben musst, mit Schmerzen umzugehen, zu leiden. Klar kann das Ego im Kampfsport auch helfen. Aber: Mein Buch heißt „Gefährliches Ego.“ Ein wirklicher Narzisst kann nicht mit dem Scheitern umgehen. Nicht einmal mit der Möglichkeit, dass etwas schiefgehen kann. Egal, in welcher Situation man ist. Und wenn es der entscheidende Elfmeter ist.
Würden Sie den Elfmeter schießen?
Ich würde ihn definitiv schießen. Ganz egal, ob das ganze Stadion pfeift, ganz egal, ob ich die technischen Fähigkeiten dazu habe.
Und wenn er danebengeht?
Klar ist: Der Narzisst ist nicht fähig, Kritik zu ertragen. Es sei denn, er hat eine Persönlichkeit an seiner Seite, die er als überlegen anerkennt. Wir haben ja gerade von Mike Tyson gesprochen. Der hat ohne Zweifel ein riesiges Ego. Aber er hatte in Cus d‘Amato einen Trainer, für den er gestorben wäre. Solche Leitfiguren sind allerdings selten. Ich hatte selbst das Glück, eine zu haben. Ich war Ringer, mein Trainer war auf höchster Ebene unterwegs. Das war für mich zu akzeptieren. Häufiger sieht man narzisstische Eltern hinter Topsportlern, bei denen das Kind ein Projekt ist. David Beckham ist so erzogen worden. Das hat er ja offen erzählt.
Und wenn die Leitfiguren, von denen sie gesprochen haben, irgendwann verschwinden? Man denkt etwa an Boris Becker nach seiner sportlichen Karriere.
Dann kann man auf die Nase fallen. Du bist ja trotzdem überzeugt von deiner Unantastbarkeit. Du hast dieses „Ich bin der Beste“ in dir. Und wenn du es eben doch nicht bist und niemand mehr da ist, der dich in der Spur hält, dann kann das schmerzhafte Folgen für dich haben. Ich kenne den Fall einer ViolinistIn, hochbegabt, die mit zwölf von der Schule gegangen ist und nur noch ihre Musik gemacht hat. Man kann sich vorstellen, wo das mal hinführt, wenn die Musik irgendwann wegfällt.
Wie ist es in Mannschaftssportarten? Kann der richtige Trainer die Wirkung eines Narzissten abfedern?
Schwierig. Ein Narzisst ist ja grundsätzlich nicht bereit, sich etwas zu erarbeiten, Verantwortung zu übernehmen. In der Niederlage gibt er anderen die Schuld. Im Erfolgsfall liegt es an ihm. Er will eine exponierte Stellung. Darunter leidet ein Team fast zwangsläufig.
Soziale Medien geben auch Sportlern praktisch eine permanente Bühne. Ist das ein Katalysator für Narzissmus?
Gute Frage, ganz klares ja. Denn nirgends sind die Reaktionen unmittelbarer. Nirgendwo wird die ständige Anerkennung, die ein Narzisst braucht, so gut bedient. Ich würde sogar sagen, dass wir nicht zuletzt deshalb in einem Zeitalter des Narzissmus leben.
Wobei Soziale Medien eigentlich ja eine Spielwiese der jungen Generationen sind…
Narzissmus ist ja insgesamt auch ein eher junges Thema. Mit dem Alter lässt er im Regelfall nach. Wobei es durchaus Ausnahmen gibt, wie wir an Donald Trump sehen.
Sie haben selbst viel in sozialen Projekten gearbeitet. Was ist Ihre Botschaft?
Eine Sache ist auf jeden Fall, dass Niederlagen keine Demütigung sind. Ich habe verloren, weil ein anderer an diesem Tag der Bessere war. Und dass ich eben alles tun muss, damit beim nächsten Mal ich der Bessere bin. Wenn du das verstehst, dann verliert das Ego seinen zerstörerischen Charakter.
INTERVIEW: PATRICK REICHELT