Prediger in der Bundesliga: Ex-Bayer Zé Roberto. © imago
Gründer von „Fußball mit Vision“: Manuel Bühler, hier 2012 beim TSV 1860. © imago
Zupacken mit Gottes Hilfe: Ballers-Torwarthandschuhe.
Religiöse Reizfigur: Felix Nmecha aus Dortmund. Seine Social-Media-Posts führten zu Fan-Protesten. © IMAGO/Gabor Baumgarten
München – Dass der Schlagersänger Wolfgang Petry kurz vor der Europameisterschaft für die deutschen Fußball-Frauen ein privates Trainingslager-Konzert gab, das ging auf die Initiative von Nationalspielerin Giovanna Hoffmann zurück. „Seine Musik lief im Bus, wir haben immer mitgegrölt. Ich sagte: ,Schicken wir dem einfach ein Video, ob er zu uns kommt.‘“ Er kam. Giovanna Hoffmann schmunzelt, wie man das so tut, wenn man als junge Frau – sie ist 26 – über die Musik der Boomer spricht, die aber in die eigene Generation hineintönt.
Doch die Stürmerin von RB Leipzig und der Nationalmannschaft ist kein extrovertiertes Party-Girl, das „Hölle Hölle Hölle“ brüllt. Ihre EM-Wochen sahen so aus, „dass ich auch mal eine halbe Stunde früher aufgestanden bin und gebetet habe“. „Gio“ Hoffmann verbirgt es nicht, sie trägt es nach außen: Sie ist religiös, sie sieht ihr Leben und ihre Karriere verbunden mit ihrem Glauben.
Im hochklassigen Fußball ist das eine Besonderheit. Und zunächst etwas, das sympathisch wirkt, weil der professionelle Sport sich über weltliche Werte – Geld, Besitz, Berühmtheit – definiert und für Spiritualität keinen Platz bietet. Dennoch wurde die Berichterstattung um Giovanna Hoffmann von einem großen Aber begleitet. Wie genau lebt sie ihren Glauben? Ist es ein zugewandter – oder einer, der Minderheiten diskreditiert? Speist er sich aus der eigenen Überzeugung – oder ist er fremdgesteuert? Kann er umschlagen in Fanatismus und zur Gefahr werden?
Diskussionen zum Thema „Glaube im Sport“ führen zu Felix Nmecha (24) von Borussia Dortmund, deutscher Nationalspieler. In den Sozialen Medien teilte er Beiträge mit homo- und transphoben Inhalten, zuletzt nannte er den Influencer Charlie Kirk, der in den USA von einem Attentäter erschossen worden war, jemanden, „der friedlich für seine Überzeugungen und Werte eingestanden hat“ – was sich mit rechtsextremen Narrativen deckt, aber nicht den Tatsachen entspricht. Trotz seiner sportlichen Klasse schlägt Nmecha mehr Ablehnung als Bewunderung entgegen. Doch als Figur passt der Mittelfeldspieler in diese kontroverse und von einem Kulturkampf geprägte Zeit.
Nmecha gehört einer Organisation an, die derzeit von sich reden macht: den „Ballers in God“. Und er ist einer anderen zumindest verbunden, die ähnlich agiert: „Fußball mit Vision“, 2022 gegründet von Manuel Bühler (33), der drei Jahre (2011 bis 14) für die zweite Mannschaft des TSV 1860 München spielte.
Bühler erzählte im Fernsehsender Bibel TV seine Geschichte. „Mein Traum war Profifußballer. Ich wollte viel Geld verdienen und berühmt sein.“ Seine Mutter las ihm aus der „Kicker-Bibel“ vor, einem Büchlein, das alle paar Jahre aktualisiert herausgegeben wird von SRS, einer kirchlichen Non-Profit-Organisation. Fußballer erzählen in der „Kicker-Bibel“ von ihrer Hinwendung zum Glauben. „Ich habe die Sehnsucht verspürt, in der Bibel zu lesen“, sagt Manuel Bühler. Sein Fußballer-Idol war der Brasilianer Ze Roberto, der bei den Bayern spielte. „Ich wurde zu einem Gottesdienst eingeladen, bei dem Bundesligaspieler von Dortmund und Schalke da waren. Ze Roberto predigte: ,Seid ihr wirklich alle glücklich? Was bleibt am Ende übrig?‘“ Seitdem will Bühler zeigen, dass der Wert des Menschen sich nicht am vordergründigen Erfolg bemisst. Er selbst ist Mitglied der evangelischen Landeskirche.
Die „Ballers in God“ wurden 2015 von John Bostock (33) gegründet, der in England und Frankreich spielte. „Ballers in God“, kurz „BIG“, listet Mitglieder in den Profiligen von England, Frankreich und den Niederlanden auf. In Deutschland ist Felix Nmecha der BIG-Posterboy; es heißt, er habe in Dortmund auch Jamie Gittens (21, inzwischen FC Chelsea) und Carney Chukwuemeka (21) für seinen Glauben gewonnen. „Ballers in God“ bietet Fans die Vernetzung mit den Stars an – und betreibt eine Merchandising-Plattform, auf der man mit Kreuz versehene Schienbeinschützer und Torwarthandschuhe („His Hands“) kaufen kann.
„Fußball mit Vision“ ist ein eingetragener Verein, gemeinnützig, er finanziert sich über Spenden, betreibt in den Ferien eine Fußballschule („Wichtige Themen wie der Umgang mit Leistungsdruck werden aus Sicht des christlichen Glaubens besprochen“) und bietet Schulen Besuche im Religionsunterricht an, ein Profi wird live zugeschaltet – oder kommt gleich selbst wie Felix Uduokhai (28, Besiktas Istanbul, früher TSV 1860, Wolfsburg, Augsburg) im Maria-Ward-Gymnasium in München-Nymphenburg.
Uduokhai ist sogar „Mitgründer und Vorstand“. Seine Hinwendung zu Jesus, erzählt er, erfolgte mit 18 und über die „Kicker-Bibel“. Während einer Verletzungsphase erlebte er Einsamkeit und will gemerkt haben, „dass es im Leben um viel mehr geht als Geld, mit dem man sich jede Tasche, jeden Schuh kaufen kann und ein, zwei, drei Autos zu Hause hat“. Eduard Löwen (früher 1. FC Nürnberg, nun St. Louis) berichtet, dass er „ein-, zweimal beinahe einen Autounfall hatte“ und sich belastet fühlte von Sünden ( „Pornografie“). Und Giovanna Hoffmann führte im Podcast, den „Fußball mit Vision“ betreibt, aus, wie sie nach ihrem zweiten Kreuzbandriss betete: „Herr, wenn du mir jetzt nicht irgendwas zeigst, dann höre ich auf. Ich habe die Bibel aufgeschlagen und zwei Verse gelesen, die ultraklar waren: Mach weiter, du wirst gesund.“ Das Erweckungserlebnis – es ist die Gemeinsamkeit in all diesen Glaubensgeschichten. Ein weiteres Kennzeichen evangelikaler Strömungen: Man hält sich sehr ans Wort der Bibel. Salbungsvoll bibelsprachlich klingt auch manches, was die Fußball-Visionäre sagen. „Ich habe die Samen ausgestreut, bewässert und gegärtnert – und jetzt geerntet“ (Giovanna Hoffmann), „Jesus ist ein Gewinn mit Preis für die Ewigkeit“ (Uduokhai), „Ich spiele noch Fußball, aber zur Ehre des Herrn“ (Johannes Reichert, SSV Ulm).
Der Verdacht: Hat man es mit Sekten zu tun? Schwieriger, da unklarer Begriff. Haringke Fugmann, Landeskirchlicher Beauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für religiöse und geistige Strömungen, verweist auf den fehlenden Konsens in der Definition. Er schickt eine „Checkliste“ der staatlichen „Landesbehörde Zentrum Bayern Familie und Soziales“, mit deren Hilfe „Psychogruppen“ oder „Seelenfänger“ identifiziert werden können. Auch seitens der Schweizer „Kirchliche Fachstelle Religionen, Sekten und Weltanschauungen“ gibt es einen Einordnungskatalog. Fugmann selbst hat die 18 Stunden des auf YouTube verfügbaren Videomaterials der „Ballers in God“ durchforstet. „Ich bin auf keinen Beleg einer toxischen Aussage gestoßen“, sagt er. „Fußball mit Vision“ wirbt für sich mit Aussagen evangelischer Amtsträger aus Württemberg wie dem dortigen Landesjugendpfarrer – Experte Fugmann verweist auf „weite Verbreitung evangelikaler Frömmigkeit in Württemberg“. Und die Gewährung des Zugangs zum traditionell konfessionell ausgerichteten Religionsunterricht sei in erster Linie Sache der Lehrkräfte.
Wollen die Gotteskicker missionieren? „Wir wollen unseren Glauben leben, ohne jemanden zu bedrängen oder zu manipulieren“, sagt Manuel Bühler, „welche Wirkung das auf andere hat, liegt nicht in unser Hand.“ Er versichert, seiner Organisation sei es ein Anliegen, „dass niemand aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Geschlecht diskriminiert werden soll“. Dem stehen aber Aussagen von Felix Nmecha entgegen. Bühler hält die Berichte für „verkürzt und einseitig“ und zitiert Nmechas Trainer Niko Kovac, der ihn „als Mensch ganz weit oben“ sieht und ihn einen „tollen Burschen“ nennt. Wobei Trainer ja auch nicht Schlechtes sagen würden über Spieler, die sie brauchen.GÜNTER KLEIN