Bundestrainer Julian Nagelsmann und Leon Goretzka. © Von der Laage/Imago
In Belfast erwartet das DFB-Team ein Hexenkessel. Die Nordiren sind vor heimischer Kulisse für eine Überraschung gut. © STEINSIEK/Imago
Trai Hume (M.) und seine Teamkollegen kämpfen leidenschaftlich – das Hinspiel aber gewann Deutschland mit 3:1. © Faith/AFP
Belfast – Mit Platz eins in der Tabelle ihrer Qualifikationsgruppe und der Gewissheit, jetzt verstanden zu haben, wie man die Spiele auf dem Weg zur Weltmeisterschaft 2026 angehen muss, verließen die Deutschen am Freitagnacht Sinsheim. Ein schöner Abend war das besonders für jene, die mit der TSG Hoffenheim zu tun haben oder das mal hatten: Torhüter Oliver Baumann erlebte vor Familie und Freunden ein Zu-null-Spiel („Hat Spaß gemacht, auch wenn ich wenig zu tun hatte“), David Raum gelang per Freistoß sein erstes Tor für die Nationalmannschaft („Als Kind träumt man davon – ich werde es mir einige Male anschauen“), Serge Gnabry zeigte in seinem ehemaligen Stadion eines seiner besten Länderspiele, und Ex-1899-und-Bundestrainer Julian Nagelsmann sah seinen Matchplan nicht scheitern wie Anfang September beim 0:2 in der Slowakei. Das 4:0 gegen ein nach Roter Karte 70 Minuten lang dezimiertes Luxemburg fühlte sich, obwohl eine Selbstverständlichkeit, gut an.
Doch ob die Oktober-Länderspiel-„Maßnahme“, wie das im Fußball-Behördendeutsch heißt, ein voller Erfolg war, das wird die Nationalmannschaft erst im Lauf des Montagabends erfahren. In Belfast (20.45 Uhr MESZ, RTL) muss sie bei den Nordiren antreten, die die eigentliche Geschichte des dritten Spieltags in der Gruppe A schrieben: Mit ihrem 2:0-Sieg stießen sie die Slowaken von Platz eins, verhalfen Deutschland zur Übernahme der Tabellenspitze, aber brachten sich selbst ebenfalls in eine gute Position. „Drei Teams haben sechs Punkte, und wir haben noch zwei Heimspiele, vielleicht verschafft uns das einen leichten Vorteil“, sagte Trainer Michael O‘Neill. Julian Nagelsmann weiß: „Belfast wird eine andere Hausnummer.“ Die Stimmungseindrücke aus dem Windsor Park erreichten die deutschen Spieler noch in Sinsheim, sie wussten: „Das wird hitzig dort“, so Aleksandar Pavlovic, „die haben gute Fans“. Wer sich noch erinnert: EM 2016 in Frankreich, die Nordiren sorgten mit ihrem Song „Will Grigg‘s on Fire“ für den Soundtrack des Turniers. Oliver Baumann sagt: „Es wird einen Ticken emotionaler als ins Sinsheim.“ Er grinst dazu, als Hoffenheimer darf er das.
Als Nordirland im September in Köln gegen die DFB-Elf 1:3 verlor, war der britische Anhang präsenter als der deutsche. Nach dieser Partie fielen dann auch ein paar Sätze, die beim Vorglühen für das Rückspiel wieder zitiert werden und Julian Nagelsmann um die Ohren fliegen. Der deutsche Trainer hatte sich gegenüber der BBC leicht echauffiert über die simple Spielweise der Nordiren: „Sie haben jede Standardsituation und jeden freien Ball lang gespielt und sind mit zehn Mann auf die zweiten Bälle gegangen. Diese Art von Fußball ist nicht besonders schön anzusehen, aber sie ist effektiv und nicht so einfach zu verteidigen.“
Inzwischen versuchte Nagelsmann diese Bewertung „nicht als Geringschätzung“ wirken zu lassen. Doch sein Kollege schlägt daraus geschickt Motivationspotenzial: „Es ist nicht mein Job, meine Mannschaft darauf vorzubereiten, dass der andere Trainer hierher kommt und uns schlägt.“ Nagelsmann muss mit Pfiffen rechnen – wie vor neun Jahren der unbescholtene Thomas Müller in Italien, nachdem er angemerkt hatte, für Top-Profis sei es nicht immer angenehm, gegen blutige Amateure wie die aus San Marino zu spielen.
Nagelsmann will von seinem Team sehen, was es gegen Luxemburg gezeigt hat. Da gefiel ihm die Grundhaltung: Er lobte die „Galligkeit und Gier“, die „Lust aufs gemeinschaftliche Verteidigen“ und „dass wir schnell die Bälle zurückgeholt haben, um nicht immer wieder von hinten aufbauen zu müssen“. Am Vortag des 4:0 hatte er erläutert, dass er momentan keine klassische Achse präsentieren kann, „weil viele seit sieben, acht Monaten verletzt sind oder seit der EM nur einmal gespielt haben“ – jedoch: „Die Gruppe, die Mannschaft ist die Achse. Wir müssen für- und miteinander spielen. Wir haben drei, vier, die in ihren Clubs überragen, doch auch die anderen müssen Verantwortung übernehmen, die das in ihren Vereinen vielleicht nicht tun.“
Und dann hofft er, dass im Windsor Park die Mannschaft nicht nur bei ihren wiederentdeckten gemeinschaftlichen Prinzipien bleibt, sondern sich auch die größere individuelle Klasse bemerkbar macht. Und man in Großbritannien erlebt, was dieser in Liverpool kritisierte Florian Wirtz so alles drauf hat. „Er ist nach wie vor der Spieler, der die meisten Chancen in der Premier League vorbereitet“, so Nagelsmann, wie Wirtz bisher dargestellt werde, „das sei nicht mal ein Drittel der Wahrheit.“ Zeigt der Ex-Leverkusener seine ganze Klasse, wäre das den Ambitionen der DFB-Elf dienlich. Denn ohne einen Sieg begänne das Bangen um die WM wieder von vorn.GÜNTER KLEIN