Eher Glück als Kunst – der Ball fiel von Woltemades Schulter ins nordirische Tor. © Charisius/dpa
WM, wir kommen: Das DFB-Team führt die Tabelle vor dem letzten Spieltag an. © Charisius/dpa
Erzielte endlich sein erstes Länderspieltor: Stürmer Nick Woltemade. © Charisius/dpa
Belfast – Am Freitag, als die Nationalmannschaft nach dem 4:0-Sieg gegen Luxemburg Platz eins in ihrer WM-Qualifikationsgruppe übernommen hatte, sagte Julian Nagelsmann: „Ich rate davon ab, auf die Tabelle zu schauen.“
Am Montag in Belfast blickte er sehr wohl auf sie. Diesmal, erklärte er nach dem 1:0-Sieg in Nordirland, mit dem die Führung vor den punktgleichen Slowaken verteidigt wurde, „ging es nur um die Tabelle und die drei Punkte“.
Was die Tabelle nach vier von sechs Runden sagt: „Dass wir wieder alles in der eigenen Hand haben“, so Kapitän Joshua Kimmich, „die Ausgangslage hat sich komplett verändert.“ Am letzten Spieltag am 17. November in Leipzig wird es gegen die Slowakei, der man Anfang September in Bratislava 0:2 unterlegen war, um den Gruppensieg und die direkte WM-Qualifikation gehen. Die Tordifferenz zählt im Fall von Punktgleichheit vor dem direkten Vergleich, deshalb ist eine Toraufholjagd gar nicht vonnöten. Man hat die bessere und noch einmal Luxemburg (14. 11.).
Belfast könnte der Wendepunkt gewesen sein in dieser Qualifikation. Weil die Slowaken dort am Freitag die Resilienz vermissen ließen, die die Deutschen drei Tage später auszeichnete. Die Slowakei verlor 0:2, das DFB-Team war die erste Mannschaft seit zwei Jahren, die im Windsor Park gewinnen konnte, jenem in eine typisch britische Vorortlandschaft aus roten und mit Erkern versehenen Backsteinhäuschen gepflanzten Stadion, das nur knapp 18000 Zuschauenden Platz bietet, aber in Europa wohl die höchste Wucht pro Sitz entfacht. „Im Nachhinein“, so der deutsche Keeper Oliver Baumann, „kann man schon sagen: Das hat Spaß gemacht, das war geil.“ Zwar ließ man sich von Nordirland die typische Spielweise mit langen Bällen, „mit Hünen vorne drin“ (Baumann) aufzwingen, war gefangen in einem „Vor, zurück, vor, zurück, zweite Bälle einsammeln“ (Aleksandar Pavlovic) – doch unterm Strich stand ein Sieg, aus dem man die Erkenntnis bezog: „Wir können uns auf solche Spiele einlassen. Das ist ein großer Schritt nach vorne und ein Lerneffekt“ – so formulierte es Julian Nagelsmann. David Raum, mit der Eckballvorlage zu Nick Woltemades Tor wieder einer der Schüsselspieler, meinte: „Wir haben gemeinsam verteidigt, bis zum Schluss gekämpft. Das bringt uns als Team weiter.“
Was passt: Die deutschen Standardsituationen sind effektiv. Von den in den vier Qualifikationspartien erzielten acht Treffern resultierten fünf aus Eckbällern, Frei- und Strafstößen. Der Bundestrainer, sehr statistikaffin, verweist darauf, dass grundsätzlich ein Drittel aller Tore aus Situationen mit ruhendem Ball fällt. „Und beim FC Arsenal sind es sogar 52 Prozent.“ Diese Quote übertrifft das DFB-Team derzeit sogar. „Wir trainieren das auch viel“, sagt Nagelsmann. „Obwohl wenig Zeit ist“, ergänzt David Raum. Zuständig für das Training der Standards ist der Deutschdäne Mads Buttgereit, den Hansi Flick 2021 in den DFB-Trainerstab geholt hatte und der auch nach dem Wechsel zu Julian Nagelsmann weiterbeschäftigt wurde. Noch bei der EM 2024 war Buttgereit leicht konsterniert, weil in seinem Bereich keine Ergebnisse vorzuweisen waren. Das hat sich geändert. „Er geht uns auf die Nerven“, erzählt David Raum mit einem Lächeln. Er lässt sich gerne nerven, wenn er dadurch an Qualität gewinnt. „Vor allem Flo Wirtz und mich pickt er sich heraus.“
Wichtig außerdem: Zwei Partien hat die Nationalmannschaft nun ohne Gegentor überstanden. Weder gegen Luxemburg noch in Nordirland ließ sie fatale Konter des Kontrahenten zu. Und was aufs Tor kam, das wehrte Oliver Baumann ab.GÜNTER KLEIN