Mjällby darf jubeln. © IMAGO
Hällevik – Hällevik. Was nach Ikea-Regal klingt, ist in Wahrheit ein verschlafenes Örtchen an der schwedischen Südküste. Hier leben gerade einmal 1500 Menschen – das Strandvallen-Stadion, ein viereckiger Kasten direkt neben einem Camping-Platz am Meer, bietet derweil Platz für 7500 Fans. Problem: Öffis gibt es in Hällevik nicht. Wer also kein Auto hat, kommt erst gar nicht hin. „Es ist wie eine Reise in die Vergangenheit“, so einer der zahlreichen Journalisten, die das magische Fleckchen zuletzt des Öfteren besucht haben, zu „11 Freunde“.
Grund: Es bahnt sich eine Sensation an. Mjällby, ein Club, der vor sieben Jahren noch drittklassig war, steht kurz davor, erstmals in der Vereinsgeschichte die Allsvenskan zu gewinnen. Also schwedischer Meister zu werden. Elf Punkte Vorsprung auf Hammarby bei noch vier Spielen, so ist die Ausgangslage. Siegt Mjällby am Montag bei IFK Göteborg – oder patzt Hammarsby am Sonntag gegen AIK – ist das Ding durch.
Ein Club aus der Einöde triumphiert gegen die Giganten aus Stockholm und Malmö – und das mit einem Etat, über den selbst die Schwergewichte nur müde lächeln. Für die Spieler dürfte der Titel Sprungbrett sein, aber die Helden dieser Erfolgsgeschichte sitzen auch auf der Bank und in den Führungsetagen: Präsident Magnus Emeus hat den Verein mit betriebswirtschaftlichem Knowhow stabilisiert. Sportdirektor Hans „Hasse“ Larsson lebt in Gehweite zum Strandvallen und bildet nach 14 Jahren als Spieler bei Mjällby gewissermaßen das Herzstück des Vereins. Und Trainer Anders Torstesson, einst Schuldirektor und Armeeoffizier, hat Mjällby vom robusten Direktspiel zu einem modernen, attraktiven Kombinationsfußball geführt.
Doch der vielleicht ungewöhnlichste Erfolgsfaktor steht nicht auf dem Feld, sondern sitzt auf der Bank: der norwegische Wissenschaftler und Co-Trainer Karl Marius Aksum. Sein ungewöhnlicher Ansatz? Die Kopfbewegung der Spieler vor und nach der Ballannahme zu perfektionieren, ein Thema, zu dem er bereits promoviert hatte.
Durch das gezielte „Scannen“ ihrer Umgebung lernten Mittelfeldakteure wie Elliot Stroud, Abdoulie Manneh oder Innenverteidiger Axel Norén, ihr Umfeld in Sekundenbruchteilen wahrzunehmen und blitzschnell die besten Entscheidungen zu treffen. Resultat: Mit 62 Prozent Ballbesitz und 47 Treffern nach 26 Spieltagen ist Mjällby eines der spielstärksten Teams der Liga.
Mjällby zeigt, wie kluge Strategie, wissenschaftliche Innovation und die nötige Portion Herzblut wahre Wunder bewirken können. Das Durchschnittsalter der Mannschaft liegt bei nur 24 Jahren, Talente werden gezielt gefördert und bei Verkauf profitabel weitergegeben – wie Colin Rösler, der vor einem Jahr für 1,1 Millionen Euro zu Malmö wechselte.
Der Sensationstitel ist Mjällby quasi nicht mehr zu nehmen. Und wer weiß: Vielleicht rollen ja bald auch die Luxusbusse der Champions League durch die verschlammten Straßen von Hällevik. Fußballmärchen, es gibt sie also doch noch…JOSÉ CARLOS MENZEL LÓPEZ