„Der DFB lag am Boden“

von Redaktion

Präsident Bernd Neuendorf über seine Amtszeit und die Zukunft

Der Frauenfußball bekommt 100 Millionen Euro. © Becker/dpa

Nagelsmann liegt mit dem DFB-Team auf WM-Kurs. © Charisius/dpa

Aus dem Schatten ins Licht: DFB-Präsident Bernd Neuendorf. © Michael Schick

Am 7. November wird Bernd Neuendorf beim DFB-Bundestag in Frankfurt ohne Gegenkandiaten in eine zweite Amtszeit als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes gewählt. Im anderthalbstündigen Interview in seinem Büro auf dem DFB-Campus erzählt der 64-Jährige, was er für die Zukunft plant.

Herr Neuendorf, Sie sind kürzlich in Belfast gemeinsam mit Ihrem nordirischen Kollegen auf ein, zwei, drei Guinness in einem Pub gewesen. Wer hat da wen unter den Tisch getrunken?

Um Himmels willen! Ich vertrage nicht viel, ehrlich gesagt. Aber in der Tat haben wir Guinness getrunken, bei zwei Pints war Schluss. Es war ein wunderbarer Abend.

Viele Jahre lang waren Sie Journalist. War das einfacher als der Job als DFB-Präsident?

Nein, denn beide Jobs haben etwas gemeinsam: Sie gehen mit einer hohen Verantwortung einher. Für den Journalismus gilt das heute in Zeiten von Fake News und dem Einfluss von KI noch mehr als zu meiner Zeit. Und was den DFB betrifft, so spüre ich natürlich schon, dass man einen Verband mit mehr als acht Millionen Menschen mit viel Bedacht führen muss.

Raubt Ihnen Kritik manchmal den Schlaf?

Mir ist schon vor meinem Amtsantritt klar gewesen, dass ich von gefühlt 81 Millionen Fußballfans im Land keine hundertprozentige Zustimmung erfahren werde. Alles andere wäre weltfremd. Zu meinen Stärken gehört aber definitiv, dass ich sehr gut abschalten und immer gut schlafen kann.

Fallen ihnen harte Entscheidungen schwer, etwa die, Hansi Flick als Bundestrainer zu entlassen?

Das war sicher nicht die einzige schwierige Entscheidung. Das wird oft vergessen. Es ging auch um die Bundestrainerin, um Oliver Bierhoff, auch um den Wechsel von Adidas zu Nike, um die WM-Vergabe nach Saudi-Arabien. Wenn man zurückschaut, wie die Situation im März 2022 war…

Wie war die damals?

Kompliziert: Es gab enormen Handlungsbedarf. Wir hatten einen völlig zerstrittenen Verband, das Verhältnis zur Bundesliga lag am Boden, die Politik hat einen Bogen um uns gemacht, finanziell standen wir an einem Kipppunkt und mussten dringend gegensteuern. Aber wir dürfen nach dreieinhalb Jahren sagen: Wir haben die Transformation geschafft – auch kulturell. Hier gibt es kein Gegeneinander mehr.

Zum Sportlichen: Nach dem ersten Spiel in der Slowakei sah es mit der WM-Qualifikation gar nicht gut aus?

Stimmt, danach war schon Druck auf dem Kessel. Aber wenn man die Mannschaft, das Trainerteam und den gesamten Staff kennt, war klar, dass es gelingen wird, den Hebel umzulegen. Auch wenn wir eine Menge Respekt vor unseren Gegnern haben. Wir sollten generell wegkommen von der Attitüde, dass wir in Ländern wie Nordirland mal eben im Vorbeigehen gewinnen.

Diese Attitüde hat der Bundestrainer allerdings vorgegeben, als er vom WM-Titel sprach. Reden Sie mit Julian Nagelsmann und bitten ihn, ein bisschen zurückhaltender zu formulieren?

Wir haben ihn auch deshalb geholt, weil er sehr ehrgeizig ist und unglaublich motivierend auf sein Umfeld wirkt. Ich werde Julian Nagelsmann dabei sicher nicht bremsen.

Wie lautet Ihre WM-Rhetorik?

Ich bin mit vielen Kollegen aus anderen Verbänden regelmäßig im Austausch. Und ich kann Ihnen versichern: Wenn wir uns für die WM qualifiziert haben, wird uns niemand gerne in seiner Gruppe sehen.

Was haben Sie noch nicht hingekriegt und möchten es bald schaffen?

Während der ersten dreieinhalb Jahre mussten wir überwiegend reparieren und konsolidieren. Wir haben Ordnung ins Spiel gebracht. Jetzt können wir offensiver werden und in eine Phase der Gestaltung eintreten. Auch, weil wir finanziell besser aufgestellt sein werden.

Nike sei ab 2027 Dank. Mutmaßlich 50 Millionen Euro mehr pro Saison für acht Jahre. Was tun Sie mit dem frischen Kapital?

Ohne Ihre Zahlen zu bestätigen: Nach der Vereinbarung mit Nike kamen viele Menschen auf mich zu und wollten mir erklären, was mit dem Geld zu geschehen habe. Wir haben dann einen intensiven Strategieprozess eingeleitet, dessen Ergebnisse inzwischen vom Präsidium verabschiedet wurden. Hier werden die zentralen Aufgaben und Maßnahmen der kommenden Wahlperiode beschrieben. Wir gehen planvoll vor und ziehen nicht mit der Gießkanne übers Land.

Wohin geht das meiste Geld?

Ich kann meiner Rede beim DFB-Bundestag nicht komplett vorgreifen. Aber so viel verrate ich: Wir werden ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung des Amateurfußballs richten und die Basis stärken. Wir haben 24000 Amateurklubs. Das ist ein Riesenschatz, den wir hegen und pflegen müssen.

Bleibt bei den Frauen auch ein bisschen mehr hängen?

Die Frauen-Bundesliga muss dringend professionalisiert werden. Wir werden dafür gemeinsam mit den Klubs eine eigene Gesellschaft gründen. Der DFB stellt hierfür rund 100 Millionen Euro zur Verfügung. Auch die Clubs werden sich substanziell an diesem Prozess beteiligen.

Wie hat sich Ihr anfangs schwieriges Verhältnis zu Fifa-Präsident Gianni Infantino entwickelt?

Anfangs war es belastet, mittlerweile ist es belastbar.

Ist Europa von Infantino überrollt worden? Bei der nächsten WM nehmen bis zu 19 Afrikaner und Asiaten teil, aber nur 16 Europäer!

Ich erkenne keine Unwucht. Soweit ich mich erinnere, sind wir die beiden letzten Male bei Weltmeisterschaften jeweils an asiatischen Teams gescheitert. Weltweit werden das Leistungsniveau und die Qualität im Fußball besser. Es besteht kein Grund zu Überheblichkeit.

INTERVIEW: FRANK HELLMANN UND JAN CHRISTIAN MÜLLER

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