Die neue Realität seit 2015: Taschendurchsuchungen, Bodychecks. © imago
Aus den Lüften ins Stadion: Greenpeace-Aktivist 2021 in München. © Imago
Nahe an der Massenpanik: Terrornacht im November 2015 in Paris © AFP
München – Nine-eleven veränderte die Welt. Und das Fliegen. Nach dem 11. September 2001 war sie vorbei, die Zeit, in der man mit großer Wasserflasche durch die Sicherheitskontrolle kam. Das neue Maximum bei Flüssigkeiten waren 100 ml, und alles, was in diese Richtung ging, musste in einen speziellen Beutel gepackt werden.
Der 13. November 2015, der sich zum zehnten Mal jährt, veränderte die Organisation von Sportereignissen. Dabei war in der Terrornacht von Paris im Stade de France, wo die Teams von Frankreich und Deutschland ein Freundschaftsspiel austrugen, niemand körperlich zu Schaden gekommen. Doch es war offensichtlich, was hätte passieren können, wäre es zwei mit Sprengstoffgürteln ausgestatteten islamistischen Attentätern gelungen, ins Stadion einzudringen. Sie scheiterten daran, dass sie keine Tickets hatten und ein mutiger Ordner ihnen entgegentrat. Doch nachdem die beiden Terroristen sich vor dem Stadion selbst in die Luft gesprengt hatten (was zu einem zivilen Todesopfer auf dem Vorplatz führte), herrschte über Stunden Ungewissheit: Kommt noch was? Haben sich weitere Gefährder eingeschmuggelt? Als nach Spielschluss Menschen, die dabei waren, das Stadion zu verlassen, plötzlich zurückliefen und den Rasen fluteten, bestand die Gefahr einer Massenpanik.
Den 14. November, einen Samstag, den Tag nach den Attentaten von Paris, die in der Innenstadt und der Konzerthalle Bataclan 129 Menschen das Leben kostete, verbrachte die Welt in Schockstarre. Doch schon am Sonntag, den 15., kehrte sie zurück in den Alltag. Ligenfußball gab es wegen der Länderspielpause keinen, doch etwa im Eishockey ging es gleich weiter. Bis dahin waren die Leute oft von der Arbeit aus in die Halle gegangen, sie hatten den Computer dabei, große Rucksäcke, Aktenkoffer. Man zeigte sein Ticket vor und trat ein. Das galt nun nicht mehr: Flugs wurden Security-Kräfte verpflichtet, die in jede Tasche schauten und Bodychecks vornahmen. Es bildeten sich Schlangen an den Eingängen, es war nicht anders als am Flughafen. Und bald schon galt: Taschen durften nicht größer sein als DIN A4 – ansonsten: Abgabe an Garderoben, die die Vereine einrichten mussten. Eine Änderung wurde auch von den Veranstaltern der Marathonläufe eingefordert: Die Tüten, in der die Läufer ihre Wechselkleidung deponierten, mussten durchsichtig sein.
Dass der Sport als viel beachtete Bühne anfällig ist, wusste man seit dem palästinensischen Attentat auf die israelische Olympia-Mannschaft 1972 in München. Doch die Sicherheitsstufe wurde immer nur erhöht, wenn israelische Mannschaften etwa im Rahmen von Europapokalwettbewerben zu Gast waren. Beim Tennis wurde man 1993 für Gefahr sensibilisiert, als Monica Seles in Hamburg von einem Zuschauer, dem das Gericht im nachfolgenden Prozess eine „verminderte Steuerungsfähigkeit“ attestiert, hinterrücks mit einem Messer attackiert wurde. Der DFB verpflichtete ab 2004 für seine A-Nationalmannschaft Leibwächter. Aber eigentlich vertraute man auf das Gute im Menschen.
In der Nacht vom 13. auf den 14. November 2015, als die deutschen und französischen Fußballer sich in ihren Kabinen im Stadion verbarrikadierten, vermochte man sich nicht vorzustellen, dass Frankreich ein gutes halbes Jahr später eine Europameisterschaft, die erste mit 24 statt bis dato 16 Teams, ohne Katastrophe überstehen würde. Die Franzosen mobilisierten sogar ihr Militär, um das Turnier abzusichern. Durch die Straßen patrouillierten im Sommer 2016 Männer im Kampfanzug und mit Maschinenpistolen. Im DFB-Quartier in Evian postierten sich bewaffnete Polizisten rund um den Trainingsplatz. Im zugehörigen Medienzentrum wurden einfahrende Autos mit Spiegeln untersucht – nicht dass sie einen Sprengsatz versteckt hatten. Als ein Angestellter einer örtlichen Sicherheitsfirma gesichtet wurde, wie er im Koran las, tauschte man ihn umgehend aus.
Frankreich brachte die EM komplikationslos über die Bühne – doch fünf Tage nach dem Finale, als die Nation durchatmete, schlug der Terror in Nizza zu: 86 Tote, als ein Attentäter einen Lastwagen in eine Menschenmenge fuhr. Das war der Beweis: Es hört nicht auf.
Der Sport hat sich mit der seit zehn Jahren herrschenden Gefahrenlage arrangiert. Die Fans wissen, dass sie akribisch kontrolliert werden. Wer im Stadion arbeitet, muss sich einem Akkreditierungsverfahren unterziehen, an dem auch Sicherheitsbehörden beteiligt sind.
Gefasst machen muss sich der Sport auf die Innovation auf der anderen Seite. Bei der EM 2021 flog ein Elektromotorsegler in die Münchner Arena ein, die damals aufgrund von Corona-Beschränkungen nur ein zu einem Fünftel besetzt wat. Gesteuert wurde das Fluggerät von einem Greenpeace-Aktivisten, der gegen die fossile Strategie des Sponsors Volkswagen protestieren wollte. Der Pilot mochte in hehrer Absicht gekommen sein, doch er schuf das Szenario einer weiteren Gefahr für Großveranstaltungen.
Die ersten Sichtungen von Drohnen über vollen Stadien werden wohl nur eine Frage der Zeit sein.GÜNTER KLEIN