RÜCKBLICK

Die stressigste Woche meines Lebens

von Redaktion

Der Tag danach: Berichterstattende an einem der Tatorte, dem Bistro „Le Carillon“. © IMAGO/Bestimage

München – Berufseinstieg 1984, das sind mittlerweile über 40 Jahre im Journalismus. Meine härteste Woche jährt sich nun zum zehnten Mal. Es war jene rund um die Terrornacht im Pariser Stade de France am 13. November 2015.

Donnerstag, 12. November 2015: Anreise zum Länderspiel Frankreich – Deutschland nach Paris, mit dem TGV normal eine sichere Sache. Diesmal nicht, vor uns bleibt ein Zug liegen. Vier Stunden Verspätung. Die Pressekonferenz mit Joachim Löw verpasse ich.

Freitag, 13. November 2015: Mittags ist Bombenwarnung im DFB-Hotel, es wird evakuiert. Meine Unterkunft ist in der Nähe, ich spaziere rüber zur Absperrung und zur Tennisanlage Roland Garros, wo die Spieler warten, bis sie wieder auf ihre Zimmer können. Am Nachmittag habe ich in Paris einen Termin beim TV-Sender Eurosport, der sich gerade die Übertragungsrechte an den Olympischen Spielen ab 2018 gesichert hat – ein Coup. Ich treffe mich zur Besichtigung der Eurosport-Zentrale mit Deutschland-Chef Gernot Bauer. Danach Weiterfahrt mit der U-Bahn ins Stade de France. Es ist eng. Gedanke: Wenn hier jemand was zündet, bleibt von uns nichts übrig.

Dann das Spiel. Die beiden Detonationen. Trotz wackligen Internets dringen allmählich Informationen durch: Terror in der Stadt. Schnell nach Schlusspfiff gibt‘s die Information: Keine Pressekonferenz, keine Mixed Zone. Die Mannschaften würden im Stadion bleiben, und wir Reporter sollten das auch tun. Ich verfolge die Lage auf Twitter, im Fernsehen, achte darauf, dass das Handy vollgeladen ist. Der DFB bittet uns, auf Social Media keine Informationen zu verbreiten. Ich beginne, Protokoll zu führen über die Nacht. Um zwei Uhr morgens verlassen wir das Stadion im Pressebus des DFB. Auch wer wie ich nicht über das DFB-Reisebüro gebucht hat, darf mitfahren. Im Bus Anruf meiner Chefredakteurin: „Sie können auch Nein sagen. Aber wollen Sie noch einen Tag länger in Paris bleiben und berichten?“ Ich will und übernehme am Morgen das Hotelzimmer eines Kollegen, der nur noch weg möchte.

Samstag, 14. November: Ich mache mich früh auf in die Stadt, zur Konzerthalle Bataclan, zu den Restaurants Petit Cambodge, Le Carillon und Casa Nostra, die angegriffen wurden. Ich spreche mit Zeugen, fotografiere zerborstene Fensterscheiben, Blutflecken auf dem Trottoire. Ich gehe alles ab, was für Paris steht: Eiffelturm, Louvre, Champs d‘Elysees, die Seine entlang. Fast alle Geschäfte sind spontan geschlossen worden, sogar die Kirche Notre Dame hat abgesperrt. Ich notiere: Kapitulation eines Zufluchtorts. Zwischendurch sage ich bei der TSG Hoffenheim ein für diesen Tag vereinbartes Interview mit Mark Uth ab. Der Stürmer hatte in den Niederlanden gespielt, ich wollte mit ihm über den kommenden deutschen Gegner (am Dienstag) reden. Doch niemals wäre ein Gespräch über Fußball sinnloser gewesen.

Um 18 Uhr bin ich im Hotel zurück, mit Essen aus dem Supermarkt. Ich mache mich an die vereinbarte Seite-3-Geschichte. Sie wird heißen: „Die Stadt der Liebe leidet“.

Sonntag, 15. November: Die alte Zugkarte ist verfallen, ich kaufe eine neue. TGV nach München, reibungslose Fahrt. Am Nachmittag Eishockey, München – Mannheim.

Montag, 16. November: Mit dem Zug geht es wieder auf Fußballreise: nach Barsinghausen bei Hannover. Dort ist am späten Nachmittag Pressekonferenz. Das Spiel gegen die Holländer soll stattfinden. Sky sammelt Statements von Journalisten. Ich sage, Großveranstaltungen würden sich nun anders anfühlen.

Dienstag, 17. November: Themenwechsel. Hamburg steht kurz vor seinem Volksentscheid über eine Bewerbung für Olympia 2024. Ich hatte seit Längerem Interviewtermine mit den Organisatoren und mit der Gegenbewegung ausgemacht, fahre mit der Bahn von Hannover nach Hamburg. Zurück in Hannover zu Fuß ins Niedersachsenstadion. Ein Zelt dient als Pressezentrum, ich will gerade das Laptop einschalten, da kommt die Durchsage: Alle wieder raus. Spiel abgesagt, mögliche Anschlagsgefahr. Die nächste Seite 3. Hastig zurück ins Hotel, die Pressekonferenz mit Bundesinnenminister Thomas de Maiziere („Ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“) verfolge ich via TV, während ich tippe.

Mittwoch, 18. November: Mit dem Zug nach Hause. Schreibend. Danach habe ich zwei Tage frei. Ich schlafe jeweils fast bis Mittag.

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