Prost – und nicht schwindelig spielen lassen! SC-Rekordspieler Christian Günter lud alle Freiburger Zuschauer auf ein Bier ein. Was würde er wohl bei einem Sieg in der Allianz Arena springen lassen? © IMAGO / Arne Amberg
Freiburg – Wenn der SC Freiburg an diesem Samstag (15.30 Uhr) in München antritt, kommt der Kapitän besonders beflügelt daher: Christian Günter ist seit letztem Spieltag der alleinige Rekordspieler der Breisgauer. Im Interview spricht er nicht über jedes seiner bisher 441 Spiele für den SC – aber schon über ein paar. Und natürlich auch über die Bayern.
Herr Günter, wie lebt es sich als Freiburger Rekordspieler?
Sehr gut. Wobei ich schon merke, dass ich noch realisieren muss, dass ich jetzt in den Geschichtsbüchern stehe. Für mich gibt es nichts Größeres. Ich bin von Kindheitsbeinen SC-Fan, ich stand schon in der Kurve. Diesen Tag mit den Fans, meinen Weggefährten, allen, die mich begleitet haben, werde ich nie vergessen.
Sie haben dem ganzen Stadion Bier ausgegeben. Gab es schon Rück-Einladungen?
(lacht) Noch nicht. Während der Saison ist das wirklich schwierig. Aber vielleicht gibt mir nach der Karriere der eine oder andere Fan ein Bier in der Kneipe aus.
Die Reise nach München treten Sie aber komplett nüchtern an.
So ist es. Wenn wir da noch was trinken würden, könnten wir unsere Koffer direkt wieder packen… Die Bayern spielen ihre Gegner auch so schon oft schwindelig.
Claudio Pizarro schaut gerne seine schönsten Tore mit den Kindern auf DVD. Muss Ihre Familie jetzt noch mal durch 441 Spiele durch?
Nein, nein, keine Angst. Ich bin auch nicht gut darin, mich an jedes Spiel zu erinnern. Aber es gibt so ein paar Highlights: Mein erstes Spiel, die ersten Europa-League-Spiele im Jahr danach, der Aufstieg, das Pokalfinale – und jetzt das Rekordspiel.
Der Erfolg im Pokal-Viertelfinale 2023 in München ist nicht dabei?
Nein. Auch wenn ich ihn in guter Erinnerung habe (schmunzelt). Es war unser bisher einziger Sieg in der Allianz Arena. In der Bundesliga haben wir noch nie dort gewonnen. Ich hoffe, dass wir das endlich mal schaffen. Das wäre am Samstag schon wünschenswert. Aber wir wissen natürlich, dass Bayern derzeit die beste Mannschaft in Europa ist. Das wird ein großer Kampf werden – den wir aber annehmen. Wir wollen sie an ihre Grenzen bringen.
Immerhin ein Mutmacher: Die Statistik besagt, dass keine Mannschaft in der Vorsaison so wenige Torschüsse gegen die Bayern zugelassen hat wie Freiburg. Es waren nur 19 in zwei Spielen.
Letztes Jahr haben wir eines unserer besten Spiele in München gemacht. Verdient verloren haben wir da nicht. Daran können wir uns ruhig orientieren – nur am liebsten mit anderem Ausgang. Das Motto ist wie immer: Nichts ist unmöglich.
Kann man Union Berlin als Vorbild nehmen?
Heim- und Auswärtsspiel sind für mich schwer zu vergleichen. Aber wir schauen natürlich genau hin, wie Union beim 2:2 gespielt hat. Trotzdem bin ich kein Freund davon, zu viel bei anderen abzuschauen und sich zu verbiegen. Wir wollen bei unserer eigenen Stärke bleiben. Denn die haben wir! Wir haben gut trainiert und sind maximal gut vorbereitet. Das müssen wir jetzt mit Leben füllen.
Der SC kommt als Tabellenzehnter und Remis-König der Bundesliga. Auffällig ist der zweite Platz in der Europa League – liegt Ihnen die große Bühne mehr?
In der Liga ist es einen Tick einfacher, wenn man die ganze Trainingswoche hat. In der letzten Saison konnten wir uns unter der Woche total gut auf die Gegner vorbereiten. Alles trainieren, einstudieren, vorhersehen. Wenn man diese Zeit nicht hat, hat man zwar einen Matchplan, aber nicht immer ein Feeling dafür. Aber es macht trotzdem so viel Spaß, international zu spielen. Das Gefühl eines Sieges in der Europa League hilft der Mannschaft jedes Mal.
Auf Sie musste das Team in letzten Europa-League-Spiel verzichten, damit Sie Ihr Rekordspiel vor den eigenen Fans bekommen.
(lacht) Da müssen Sie den Trainer fragen, ob es Absicht war. Aber so oder so war der Tag in Freiburg dann einfach perfekt.
Was hat Sie am meisten berührt?
Die Ehrung vor dem Spiel, nach dem Spiel mit den Fans zu feiern, dann in der Kabine mit den Jungs. Dass meine Familie da war, meine Freunde, langjährige Wegbegleiter wie zum Beispiel Christian Streich. Das hat mir viel bedeutet.
Maxi Eggestein sagt: „Mehr Legende geht nicht.“ Sind Sie der Thomas Müller von Freiburg?
Unsere Wege waren ähnlich. Aber was die Karriere angeht, möchte ich mich nicht mit Thomas Müller vergleichen. Was der für Zahlen erreicht hat, ist unglaublich. Ich fand es total schön, ihn in der Nationalmannschaft kennenzulernen. Wie hart er arbeitet, wie sein Mindset ist, welchen Einfluss er auf ein Team hat – das war schon beeindruckend. Ich habe viel von ihm gelernt.
Sind seine 756 Spiele jetzt Ihr Ziel?
Leider nein. Dafür hätte ich öfter international spielen müssen.
Wie ist denn Fußballspielen mit 32 eigentlich? Harry Kane blüht richtig auf…
Ein körperliches Thema ist es nicht, ich bin genauso fit wie mit Ende 20. Aber unser Kader ist insgesamt besser geworden. Wir haben in den letzten Jahren herausragend gut gespielt, da ist jetzt ein Hauen und Stechen um die Plätze. Aber das ist das Schöne an einem Mannschaftssport: Wir kitzeln uns gegenseitig und machen uns gegenseitig besser. Die Jungen uns Ältere, wir sie aber auch.
Sind sie auch als Kapitän gewachsen?
Auf jeden Fall. Man muss in jeder Situationen Verantwortung übernehmen, das Gefüge im Blick haben. Das Amt hat mich reifen lassen. Und ich hatte das Glück, mit einigen Jungs zusammenzuspielen, bei denen ich mir viel abschauen konnte. Auch bei den Bayern übrigens. Manuel Neuer, Jo Kimmich, Leon Goretzka, Thomas Müller: Sie haben mich geprägt.
Welche Spieler aus dem aktuellen Bayern-Kader würde denn auch in Freiburg funktionieren?
Von den Charakteren her würden die alle gut reinpassen bei uns. Ihr Ehrgeiz, ihr Engagement: Es würde niemand nein sagen, wenn sich jemand für uns entscheiden würde. Sagen wir so: Wir würden alle nehmen (lacht).
INTERVIEW: HANNA RAIF