Champions-League-Insider: Jens Lehmann im Arsenal-Tor bei einem Duell mit dem FC Bayern vor 20 Jahren. © Imago
Überflieger: Arsenal (hier William Saliba) besiegte Tottenham Hotspur mit 4:1 und dominiert momentan die englische Premier League © IMAGO
München – Jens Lehmann ist eine Legende des FC Arsenal. Beim Champions-League-Kracher seines Ex-Vereins gegen den FC Bayern (21 Uhr) wird der frühere deutsche Nationaltorhüter live in London im Stadion sein. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der 56-Jährige über das Königsklassen-Duell.
Herr Lehmann, 2004 waren Sie Rückhalt jener Arsenal-Mannschaft, die im Saisonverlauf ohne Niederlage geblieben und als Invincibles („die Unbesiegbaren“) – in die Geschichte eingegangen ist. Sehen Sie Parallelen zum aktuellen Bayern-Team?
Bayern ist zu diesem Zeitpunkt der Saison dominanter als wir damals. Bei uns hat keiner darüber gesprochen, eine ganze Saison ungeschlagen zu bleiben. Für mich war eines wichtig: Ich wollte Meister werden. Dass man dabei ungeschlagen bleiben konnte, kam mir nicht in den Sinn. Das gab es ja davor nie. Ich glaube, Bayern kann das auch schaffen.
Was ist ihre größte Stärke?
Die Spieler scheinen fitter zu sein als die Gegenspieler in der Bundesliga. Das Gefühl hatte man in den vergangenen Jahren nicht so. Das kann zum Problem der anderen deutschen Teams werden, wenn sie nicht gewohnt sind, in wichtigen Spielen so ein hohes Tempo zu gehen. Einen ähnlichen Eindruck hatte ich auch in meinem ersten Jahr bei Arsenal. Wir waren immer spritzig.
Wo sehen Sie Schwächen?
Letztes Jahr hatte man den Eindruck, dass sie gegen die sehr guten Mannschaften nicht richtig wussten, wie sie verteidigen sollen. Da haben sie sich verbessert. Die Bayern haben im Sommer mit Tah auch einen Verteidiger dazubekommen. Und bei denen, die sie bereits im Kader hatten, habe ich das Gefühl, dass sie besser geworden sind.
Kommen wir zur Offensive: Flügel-Neuzugang Luis Diaz ist gegen Arsenal gesperrt.
Ich fand ihn in Liverpool schon super. Und auch jetzt gefällt er mir wieder gut. Bei Sané wusste man in den Jahren davor nie so wirklich, ob er alles gibt. Ich finde, er ist ein toller Spieler. Aber Bayern muss ja einen Grund gehabt haben, warum sie bereit waren, ihn abzugeben. Diaz hat die südamerikanische Einstellung, die gefällt mir. Wenn einer, der zwei Tore gegen Paris – den aktuellen Champions-League-Sieger schießt – fehlt, dann ist das eine Schwächung.
Harry Kane ist dabei. Wie viel Angst hat Arsenal?
Bei Bayern können viele Spieler Tore schießen, das ist eine Stärke. Ich glaube, dass Harry Kane genauso viel Respekt vor den Arsenal-Verteidigern hat, wie umgekehrt. Das ist ein Vergleich auf hohem Niveau. Aber Arsenal hat derzeit die beste Abwehr der Welt. Tore zu schießen, wird nicht leicht für ihn.
Beide Clubs haben alle vier Champions-League-Spiele gewonnen. Der Zweite empfängt den Ersten. Was erwarten Sie?
Die gegenwärtig zwei besten Mannschaften der Welt treffen aufeinander. Beide Teams spielen im Moment auf Topniveau. Ich werde im Stadion sein. Für mich wird interessant sein zu sehen, wie beide Teams in verschiedenen Momenten der Partie agieren. Ich rechne mit einem sehr engen Spiel.
Gewinnt Bayern?
Bayern hat es auswärts in Paris sehr gut gemacht. Aber wenn sie gegen Arsenal auch so pressen möchten, werden die Londoner ein bisschen anders spielen. Für Arsenal ist es ein Heimspiel, deshalb sehe ich einen leichten Vorteil für sie.
Arsenal hat nur eines der letzten fünf Spiele gegen Bayern nicht verloren.
Da war Arsenal ja auch immer eine Katastrophe.
Die Gunners haben im vergangenen Sommer 293,5 Millionen Euro für neue Stars ausgegeben. Gut investiertes Geld?
Deswegen sind sie auch unter Druck. Bislang hat sich das gelohnt, aber das ist nur eine Momentaufnahme. So wie die starken Saisonauftritte der Bayern. Es wäre für beide schön, wenn sie auch noch im Mai so erfolgreich wären.
Arsenal träumt seit Jahren von einem großen Titel. Kann das mit Trainer Mikel Arteta gelingen?
Titel gewinnt man, wenn man mutig ist. In der Vergangenheit hat Arsenal oft stark begonnen und ein Versprechen abgegeben, aber am Ende konnte die Mannschaft von Arteta dieses nie halten, weil sie nichts gewonnen haben. Wenn das noch mal passiert, wäre das nicht gut. In dieser Saison ist die Konkurrenz in der Premier League nicht so gut. Ich hoffe, dass Arsenal nach langer Zeit mal wieder Meister wird.
Ist Trainer Vincent Kompany wirklich der Heilsbringer der Bayern?
Als die Bayern 2024 die ganzen Alternativen umzusetzen versuchten, habe ich gedacht: viel Glück! Dann kamen sie mit Vincent Kompany um die Ecke und ich dachte: Jetzt haben sie einen Guten, vielleicht aus der Not heraus die beste Wahl, das sieht man ja, seitdem er da ist.
Was zeichnet ihn aus?
Dass er das Spiel, während es läuft, besser versteht als die anderen Trainer. Und er bringt viel Mut mit.
Mit 39 Jahren ist Kompany genauso alt wie sein Kapitän Manuel Neuer. Viele Fans hoffen sogar auf ein DFB-Comeback des Torwarts. Sie auch?
Ich bin ein Fan und habe ihn immer sehr gelobt. Auf die Nationalmannschaft bezogen, ist es aber eine etwas eigenartige Situation. Eine ähnliche hatten wir mit Toni Kroos. Jeder hat vor der Heim-EM gesagt, Kroos werde die Nationalmannschaft retten. Im Viertelfinale war trotzdem Schluss, wie auch seit 2014 immer in allen Turnieren viel zu früh. Es wurden also mit beiden zusammen keine sehr guten Ergebnisse mehr erzielt. Aber natürlich ist Manuel Neuer wahrscheinlich noch immer der beste deutsche Torwart, obwohl es Oliver Baumann bislang auch sehr gut gemacht hat. Ich würde Bernd Leno auch immer noch dazu nehmen.
INTERVIEW: PHILIPP KESSLER