Regeln sind Regeln – und die gelten auch für Victoria Carl. Ganz gleich, ob die deutsche Langläuferin absichtlich gedopt hat oder nicht. Wer einen positiven Dopingtest erzeugt – mögen die Umstände noch so unglücklich sein –, muss mit Strafe rechnen. Darüber dürfte Einigkeit herrschen. Doch bei der Frage, wie hart eine Bestrafung ausfällt, gibt es in der Welt der Sportgerichtsbarkeit keine transparente und nachvollziehbare Linie.
In Carls Probe befand sich Clenbuterol – hervorgerufen durch einen, wegen eines akuten Asthmaanfalls genommenen Hustensafts (Spasmo Mucosolvan), den ihr der im März bei den Militärspielen zuständige Arzt nicht hätte verschreiben dürfen. Aber – und das ist ein großer Unterschied zu vielen anderen Fällen – die 30-Jährige hat das Mittel noch vor der Kontrolle angegeben. Naiv, aber mit reinem Gewissen.
Die norwegische Langläuferin Therese Johaug beispielsweise hatte ihre Lippencreme-Erklärung erst nach Überführung geliefert. Ersturteil: 14 Monate Sperre, weil keine Absicht (Antidoping Norwegen), später verlängert durch den CAS auf 18 Monate. Tennisprofi Jannik Sinner erinnerte sich auch erst rückwirkend an eine Salbe seines Physiotherapeuten. Die International Tennis Integrity Agency und die WADA einigten sich in einem stark kritisierten Deal auf nur drei (!) Monate Sperre. Begründung: keine Absicht. Tenor der Kritiker: Sinner wird geschützt, weil er der Superstar der Szene ist.
Oder Denise Herrmann. Die heutige Biathletin wurde als damals 18-jährige Langläuferin 2007 vom Deutschen Skiverband, im Einklang mit den damaligen NADA-Richtlinien, für ein Jahr gesperrt. Die Substanz: Clenbuterol. Das „irrtümlich aus dem privaten Medikamentenschrank“ benutzte Mittel: Spasmo Mucosolvan. Wie bei Carl. Kurios? Komisch? Auffällig? Entscheiden Sie selbst.
Bei Carl fordert die NADA nun zwei Jahre Sperre. Damit würde die Thüringerin wohl auch die WM 2027 verpassen. Das Karriereende steht im Raum. Die WADA könnte verhandeln, hält die Strafe aber für angemessen. Carl ist eben nicht Sinner. Welche Möglichkeiten bleiben? Der DSV und Carl könnten vor den CAS ziehen. Doch die Kosten (bis zu 200 000 Euro) sind immens und selbst wenn die Sperre verkürzt wird, bekäme man kein Geld zurück.