Ein Leben lang Eisprinzessin

von Redaktion

Katarina Witt wird 60: Die einst flammende Liebe zu ihr erkaltete mit den Jahren

Legendäre Ausgabe: US-Playboy von 1999 mit Witt auf dem Cover.

Versuch einer Funktionärskarriere: Witt wollte die Winterspiele 2018 nach München holen – und scheiterte. © imago

Carmen 1988 in Calgary: Das „schönste Gesicht des Sozialismus“ verzauberte auch den Westen. © Sutton/Imago

München – Wann ist man schon nachts für eine Sportübertragung aufgestanden? Für Muhammad Ali, sagen die Älteren und beziehen sich auf die 70er-Jahre: Ali gegen Frazier, gegen Foreman. Die etwas jüngere Generation unterbrach 1988 während der Olympischen Winterspiele aus Calgary ihren Schlaf, für das epische Duell im Eiskunstlauf: Debi Thomas aus den USA gegen Katarina Witt – beide mit demselben Kürthema: „Carmen“ von George Bizet. Deutschland fieberte mit Witt. Ganz Deutschland, auch der Westen. Obwohl sie für die DDR startete und die sportliche Rivalität zwischen den beiden deutschen Staaten enorm war. Sogar in Amerika genoss sie Sympathien – obwohl sie Debi Thomas den Weg zur Goldmedaille versperrte. „Das schönste Gesicht des Sozialismus.“ Kati Witt faszinierte. Weil die Bilder der Eisprinzessin noch so präsent sind, ist es kaum zu glauben: Sie wird am Mittwoch (3. Dezember) 60.

Sie stand immer noch in der Blüte ihrer Karriere. als sich die politischen Verhältnisse änderten. Sie hatte den Vorschuss, um die erste gesamtdeutsche Sportheldin zu werden. Doch der Star, der die beiden Kulturen verbindet, wurde sie nicht. Im Osten war sehr wohl registriert worden, dass sie Privilegien genossen hatte, die über dem Standard des Arbeiter- und Bauernstaats lagen – und der Westen Deutschlands war nur eine Durchgangsstation in die USA, wo Witt ihren Ruhm in Revuen versilberte. Zu den gemeinsamen Ost-West-Helden wurden nach der Wende die Schwimmerin Franziska van Almsick und Henry Maske. Katarina Witt rang sich, als für die Olympischen Spiele 1994 die Zulassungsbedingungen geändert wurden, ein Comeback ab, mit eigens für sie eingespielter Kürmusik – doch Rang sieben zeigte: Ihre Zeit im knallharten Wettkampfsport war abgelaufen.

In den gut 30 Jahren, die seitdem vergangen sind, bespielte Katarina Witt so gut wie jede Plattform. Sie drehte Filme (hier war sie noch einmal die eislaufende „Carmen“), schrieb Bücher (über Fitness, doch auch ihr Leben in der DDR, wo sie von der Stasi überwacht wurde), kreierte Eisshows, wurde Unternehmerin, eröffnete (in Potsdam) ein Gym, wirkte in Charity-Projekten mit. Und vor allem blieb sie die Figur Katarina Witt. 1999 war sie auf dem Titel (und entblättert auf einer langen Fotostrecke im Inneren) der amerikanischen Playboy-Ausgabe – und wer 1988 für ihre „Carmen“ aufgestanden war, fragte nun im internationalen Bahnhofsbuchhandel nach dem US-Heft. Es war die in Deutschland meistverkaufte Original-Ausgabe des Herrenmagazins, in der Gesamtauflagengeschichte nahm es Rang zwei hinter Marilyn Monroe ein.

Umstritten als Kopf der Münchner Bewerbung für Olympia 2018

Kati Witt hatte weiter ihre Bewunderer – doch sie stieß auch auf Ablehnung. Sie sollte das Gesicht der Bewerbung von München und Garmisch-Partenkirchen für die Olympischen Winterspiele 2018 sein, weil die deutschen Funktionäre sich von ihr versprachen, dass sie die höchste internationale Strahlkraft haben und das IOC begeistern könnte, doch die Menschen in Oberbayern fremdelten mit der Sächsin – erst recht, nachdem sie den kränkelnden Willy Bogner an der Spitze der Bewerbungsgesellschaft abgelöst hatte. Letztlich unterlag München deutlich gegen Pyeongchang – und Witt weinte. Sie hatte an den Sieg geglaubt.

Es ist ruhiger geworden um sie. Der letzte Auftritt, über den man sprach, war während der Winterspiele 2022. Im ARD-Studio reagierte sie angefasst auf den seelenlosen Umgang der russischen Trainerin Eteri Tutberidse mit der 15-jährigen Eiskunstläuferin Kamilla Walijewa. Katarina Witt stiegen die Tränen hoch, ihre Stimme brach – und in diesem Augenblick authentischer Empörung war sie den Zuschauern noch einmal so nahe wie 1988.GÜNTER KLEIN

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