Löwen-Ikonen: Torwartlegende Petar Radenkovic und der frühere Linksaußen Fredi Heiß mit der 1966 gewonnen Meisterschale. © Sampics / Stefan Matzke
München – Er ist ein Meisterlöwe und somit eine Legende. Eine von vier blauen Legenden von 1966, die noch am Leben sind: Alfred Heiß, den alle nur Fredi nennen, feiert am heutigen Freitag seinen 85. Geburtstag. Älter als er ist nur noch Torhüter Petar Radenkovic, der mit 91 Jahren inzwischen wieder in seiner Heimatstadt Belgrad lebt. Heiß dagegen ist ein waschechter Münchner, wie so viele seiner damaligen Mitspieler, und in der Maxvorstadt aufgewachsen. Sein Vater besaß in der Barerstraße eine Metzgerei, und der kleine Fredi spielte jeden Tag auf den Wiesen rund um die Alte Pinakothek mit seinen Spezln Fußball. Der Anfang einer beeindruckenden Karriere mit dem Gewinn der Meisterschaft, einem Triumph im DFB-Pokal und acht Länderspielen. Das Geburtstagsinterview mit dem besten Flügelstürmer in der Geschichte des TSV 1860.
Herr Heiß, hätten Sie nach fünfeinhalb Jahren unbarmherzigen Trainings unter Max Merkel jemals geglaubt, dass Sie mal 85 Jahre alt werden?
Das fängt ja schon mal gut an. Aber wer weiß? Vielleicht hat mich die Härte vom Max für mein späteres Leben einfach widerstandsfähiger gemacht. Und auch jetzt sieht man mich hin und wieder noch in einem Fitnessstudio.
Zu den Anfängen. Bei Ihrem ersten Klub wurden Sie schnell wieder weggeschickt …
Mit zwölf bin ich zu Teutonia München gegangen. Nach meinem ersten Spiel sagte der Trainer, dass ich bei ihnen nichts verloren hätte. Ich sei viel zu gut und solle doch zu Sechzig oder Bayern gehen. Ich entschied mich sofort für die Blauen, weil das meine Lieblingsfarbe ist und mir der Name „Die Löwen“ so gut gefiel. Die Farbe Rot mochte ich nie – zum Leidwesen meines Vaters und meines Onkels, die beide Bayern-Anhänger waren…
Wer war eigentlich Ihr härtester Gegenspieler?
Berti Vogts. Gladbach war 1965 aufgestiegen, und wir mussten im Dezember als Tabellenführer auf den Bökelberg. Berti war mein Gegenspieler und begrüßte mich vor dem Anpfiff sehr herzlich. „Guten Tag, Herr Heiß“, sagte er, „ihr habt ja so eine tolle Mannschaft, und ich bewundere Sie als Spieler.“ Aber kaum hatte das Spiel begonnen, erlebte ich einen anderen Vogts. Er hat mich hergehauen, dass es nur so gescheppert hat. Und ich habe eineinhalb Stunden lang so gut wie keinen Ball gesehen. Irgendwann hat mir Max Merkel einen Stuhl an die Seitenlinie gebracht und meinte: „Do, hock di hi. Dann bist a ned schlechter…“ Das war so peinlich für mich.
Wie haben Sie Merkel sonst noch in Erinnerung?
Als absolut dominante Figur im Verein. Außer ihm hatte keiner was zu sagen. Kein Spieler, kein Funktionär. Niemand! Und er verstand null Spaß. Ich weiß noch, wie ein neuer Spieler mal vor dem Abendessen den Salzstreuer an Merkels Tisch locker gedreht hat. Ja, was meinst du, was da los war, als der ganze Inhalt auf seinem Teller gelandet ist? Er glaubte auch zu wissen, wer der Übeltäter war und packte ihn sofort an der Gurgel.
Wie kamen Sie mit ihm zurecht?
Na ja. Ich glaube, dass er mir die Teilnahme an der WM 1966 vermasselt hat. In einer kleinen Runde habe ich vor den letzten drei Bundesligaspielen gesagt, dass wir trotz Merkel, mit dem die Mannschaft damals große Probleme hatte, Meister werden. Da hat mich dann einer bei ihm verpfiffen und Merkel hat mich nicht mehr aufgestellt. Das war‘s dann mit der WM.
Zu etwas angenehmerem. Was war ihr bestes Spiel?
Ach, da gibt‘s einige. Vier Bundesligatore in einem Spiel sind mir 1966 in Neunkirchen gelungen. Dann die Halbfinals gegen den AC Turin ein Jahr vorher im Europacup. Beim 3:1 in München habe ich ein Tor erzielt und im Entscheidungsspiel in Zürich, das wir 2:0 gewonnen haben, habe ich wahrscheinlich die stärkste erste Halbzeit meiner Karriere hingelegt.
Günter Netzer hat mal festgestellt, dass der TSV 1860 die beste deutsche Mannschaft in den Sechzigerjahren war. Was wäre eigentlich gewesen, wenn es die legendäre Watschn nicht gegeben hätte und Franz Beckenbauer bei den Löwen gelandet wäre?
Dann wären wir damals in Europa nicht zu schlagen gewesen. Wir hatten sechs deutsche Nationalstürmer, mit Bernd Patzke einen weiteren Nationalspieler, den Radi im Tor und den Perusic – dazu dann noch den Franz: Das wäre überragend gewesen.
Apropos Radi. Ihre schönste Anekdote mit ihm?
Wenn wir damals nach Auswärtsspielen am Münchner Hauptbahnhof ankamen, wartete immer seine Frau am Bahnsteig auf ihn, um ihn abzuholen. Da der Radi mit uns Spielern aber immer noch um die Häuser ziehen wollte, stieg er immer an der anderen Seite des Waggons aus und machte sich über die Gleise davon.
Wer war eigentlich Ihr Vorbild?
Ganz klar Uwe Seeler. Ich spielte ja später auch mit ihm zusammen in der Nationalmannschaft und ich erinnere mich vor allem an ein Trainingslager in Malente, wo ich mit ihm und Charly Dörfel in einem Dreibettzimmer lag. Was ich mit den beiden Vögeln für einen Spaß hatte, war der Wahnsinn. Übrigens: Der HSV wollte mich mal verpflichten. Aber daraus ist ebenso nichts geworden wie nach einer Anfrage vom AC Turin.
Da hätte es mehr zu verdienen gegeben als damals bei Sechzig. Was glauben Sie, könnten Sie in der heutigen Zeit mit Ihrer Leistung von damals kassieren?
Solche Vergleiche sind immer schwierig. Aber ich sag mal: so zwischen drei und vier Millionen Euro.
Was denken Sie sich, wenn Sie die heutige Mannschaft spielen sehen?
Ja mei, die Erwartungen vor der Saison waren ja bei fast allen Anhängern und auch bei mir riesengroß. Erfüllt wurden sie in keinster Weise. Gehen würde natürlich immer noch was. Aber dazu braucht es ein ganz anderes Auftreten. Ich war jetzt übrigens noch höflich.
Zum Schluss eine etwas makabre Frage, wenn Sie erlauben. Eine Schätzfrage sozusagen. Radenkovic, Heiß, Reich, Patzke. Wer wird der letzte Überlebende sein?
Ich glaube, der Radi. Als Torwart hat er sich ja viel mehr schonen können …
INTERVIEW: CLAUDIUS MAYER