ALLE 14 TAGE

Hier pulsiert das Löwen-Herz

von Redaktion

Drittklassiger Fußball, erstklassige Party: Wenn 1860 spielt, bebt Giesing

Jubeln vor Giesings legendärer Häuserkulisse: Zumindest die Heimspiele in dieser Spielzeit passen zur Party draußen auf den Straßen. © Sampics / Stefan Matzke (7)

Gute Laune: Haben 1860-Fans ergebnisunabhängig.

Blauer Nebel: Im Ultrablock raucht‘s gelegentlich.

Stammgast: „Roli“ versorgt Roman Wöll mit Weißbier.

Künstlerviertel: Graffiti-Wände rund ums Stadion.

Alle Wege führen nach Giesing: Löwen-Fan mit Traktor.

Als kleiner Bub an Vaters Hand: Wie im Song „Löwenmut“.

Sammelt Geld für ein Kinderhospiz: Der blaue Klaus. © ulk

München – Kürzlich absolvierten die Löwen ihr 171. Heimspiel im Grünwalder Stadion, seit sie nach dem Abstieg aus der 2. Liga im Sommer 2017 nach Giesing zurückgekehrt sind. Klammert man die Corona-Jahre mit den Geisterspielen aus, bot sich im ehemaligen Arbeiterviertel stets das gleiche Bild: Voll besetzte Ränge im Stadion – und drum herum: Kneipen, Kioske und Kulturtreffs mit Bier trinkenden Fans, meist friedlich, immer leidenschaftlich. Ein blaues Kleinod.

An Heimspieltagen pulsiert ganz Giesing. Und egal, ob 1860 gerade oben in der Tabelle steht oder unten – die Stimmung im Viertel ist fast immer gelöst. Ein blaues Wunder. Greifbar wird es gegenüber des Stadions, in einer Boazn mit passendem Namen: Blue Adria. Blau, weil Giesing blau ist. Adria, weil der Wirt aus Kroatien stammt.

Es ist 13.30 Uhr am Spieltag, als „Roli“ (73, bürgerlich: Roland Schreiber) feststellt, dass sein Freund Roman Wöll noch ein Weißbier vertragen könnte. Schreiber kellnert ehrenamtlich, die beiden kennen sich seit den frühen 70ern. Wöll, 71 Jahre alt und Allesfahrer, hat an diesem Tag schon mehrere Friedhöfe besucht. Gehört sich so für ihn an Allerheiligen. Doch ähnlich wichtig ist ihm sein Spieltagsritual. Mit dem Mittagsläuten trifft er beim Blue Adria ein, stellt sich draußen ans Fenster, ein Pulk Gleichgesinnter teilt mit ihm den Gehsteig. Das Grünwalder Stadion ist keinen Torwartabwurf entfernt.

„Meistens trinke ich vorher zwei, maximal drei“, sagt Wöll und blickt auf das Treiben, das einem Wimmelbild gleicht. 1860-Fans strömen zum Haupteingang, Cottbus-Fans werden zur Ostkurve geleitet. Kastenwagen der Polizei stehen bereit, werden aber nicht benötigt. Alles bleibt friedlich. Berittene Beamte traben vorbei, ein Rentner sammelt Leergut ein. Wöll nimmt einen genüsslichen Schluck – eilig hat er es nicht. 25 Minuten bleiben bis zum Anpfiff. Trotzdem wird er pünktlich seinen Platz in der Westkurve eingenommen haben.

Wo sonst kann man in der Kneipe sitzen, gemütlich austrinken – und sich trotzdem sicher sein, keinen Angriff zu verpassen? In Fröttmaning, wo der Fußball-Tempel des FC Bayern steht, kann man auch bis kurz vor dem Anpfiff Bier trinken, aber aus Plastikbechern, bezahlt mit Plastikgeld – und ohne den Charme, beim Wirt anschreiben zu dürfen. Wöll bekommt sein Weißbier sogar im Glas mit 1860-Logo. „Besser geht‘s nicht“, sagt er: „Und kürzere Wege gibt‘s auch nicht.“ Das „Drumherum“ sei einmalig, findet der Urmünchner: „Blöd ist nur, dass wir mit dem Stadion kein Geld verdienen.“

Andere schon, zum Beispiel Joko, der Wirt des Blue Adria. Roli spricht von Festtagen, die alle zwei Wochen die Kassen füllen. „Ohne 1860 wär‘s eine zähe Nummer“, sagt er: „Ab und zu gibt‘s kroatische Familienfeste, aber ohne die Löwen-Spiele müsste man überlegen, ob sich der Betrieb lohnt.“

Giesing wäre ohne 1860 ärmer – und auch Rolis Alltag im Blue Adria. In acht Jahren sei nie etwas passiert. Seine größte Deeskalation? Zu Regionalliga-Zeiten saßen mal „20 Löwen-Fans links im Lokal und 20 Bayern-Fans rechts“. Die Erwartung: „Gleich kracht‘s, aber dann bin ich zum Joko hin und hab gesagt: Ich brauch‘ mal schnell 40 Sliwowitz.“ Promille statt Provokation. „Am Ende haben sich alle bei mir bedankt.“

Auch an Allerheiligen 2025 bleibt alles ruhig. 1860 schickt Tabellenführer Cottbus mit 3:0 zurück in die Lausitz. Für Wöll ein gelungener Tag – und er ist noch nicht vorbei. Ausklingen lässt er ihn im Tennisheim am 1860-Gelände. Noch so ein Lokal, das froh ist, dass die Löwen 2017 nach Giesing zurückgekehrt sind.ULI KELLNER

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